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In eisigen Kerkern (German Edition)

In eisigen Kerkern (German Edition)

Titel: In eisigen Kerkern (German Edition)
Autoren: Manfred Köhler
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und dann wieder auf die Karte. Erst jetzt fielen Nelli die beiden gerahmten Bilder auf, die dicht nebeneinander hingen und offenbar Gebirgslandschaften zeigten. Von ihrem Tisch aus war nur zu erkennen, dass die Bilder sich sehr ähnelten.
    Andi redete und redete, und wenn er Luft holte, hatte der Familienvater schon wieder eine neue Frage, und Andi redete weiter, während er sich immer mal wieder die langen Strähnen aus dem Gesicht hinters Ohr strich.
    Nelli spürte Ungeduld aufkommen. Sie begann, darüber nachzudenken, ob sie sich zu Fuß auf den Weg machen sollte oder das Yuppie-Pärchen auf eine Mitfahrgelegenheit ansprechen. Vielleicht hatten die sogar ein Handy.
    Ganz sicher hatten sie eines!
    Sie war gerade drauf und dran, einen Versuch zu wagen, da flog die Tür auf, und eine Schar Kinder quoll lauthals brüllend und krakeelend in die Wirtsstube.
    „Auch das noch!“
    Nelli sagte es laut, doch es ging in dem Lärm unter. Sie drehte sich zum Fenster, um nach dem Bus zu sehen, mit dem die Kinder gekommen sein mussten. Er stand mit der Schnauze Richtung Pass. Nelli hatte eine Idee, und sie stand auf.
    Die Kinder tobten mittlerweile auch um ihren Tisch. Während sie anfingen Plätze einzunehmen, darum zu rangeln, sich wegzustoßen und zu zerren und das Geschrei dabei noch lauter wurde, stand auch das Pärchen auf, demonstrativ kopfschüttelnd und mit verkniffenen Gesichtern. Der Mann klemmte einen Geldschein unter einen Teller und gab Andi ein Zeichen.
    Nelli bahnte sich einen Weg durch das Kindergewusel, um die beiden abzufangen.
    „Das geht auch leiser, Leute, und bitte ohne Revierkämpfe“, hörte sie eine Stimme schräg gegenüber. Das war wohl der Lehrer, ein bärtiger Typ mit Windjacke, dessen Ermahnungen überhaupt nichts nützten, was ihn aber nicht zu kümmern schien.
    Das Pärchen wollte sich an Nelli vorbei zur Tür verdrücken. Nelli schnitt ihnen den Weg ab.
    „Ich muss Sie was fragen, bitte.“
    Der Mann deutete zu seinem Ohr und schüttelte den Kopf. Nelli zeigte zum Ausgang. Gemeinsam verließen sie die Wirtsstube und schlossen die Tür von außen.
    „Fahren Sie in Richtung Tal oder hoch zum Pass?“
    „Wir können leider keine Anhalter mitnehmen“, antwortete der Mann knapp.
    Nelli presste die Lippen zusammen, verschränkte hastig die Arme und nickte.
    „Hab ich mir schon gedacht.“
    „Nein, verstehen Sie uns bitte nicht falsch...“
    „Wir haben nämlich nur einen Zweisitzer“, mischte sich die Frau ein und berührte mit ihrer warmen Hand Nellis verschränkte Unterarme. Sie lächelte, und Nelli stellte verblüfft fest, dass die Geste und das Lächeln anteilnehmend waren.
    „Hatten Sie einen Unfall?“, fragte die Frau, legte Nelli jetzt die Hand auf den Rücken und führte sie so aus dem Vorraum hinaus auf den Platz vor dem Haus.
    „Ich bin oben am Pass mit dem Fahrrad gestürzt und war bewusstlos. Als ich aufgewacht bin, waren meine Sachen verschwunden.“
    „Haben Sie die Polizei gerufen?“, fragte der Mann.
    „Nein. Der Wirt sagt, er hat kein Telefon.“
    „Warten Sie mal. Ich glaube zwar nicht, dass ich hier ein Netz bekomme...“
    Der Mann zog ein Handy aus einer Jackett-Tasche und drückte eine Kurzwahltaste. Er hielt sich das winzige Telefon ans Ohr, lauschte und schüttelte dann den Kopf.
    „Wir können Sie zwar wirklich nicht mitnehmen, sehen Sie...“
    Die Frau deutete zu einem kleinen blauen Sportwagen ohne Rückbank, der hinter dem Reisebus stand.
    „...aber wir könnten unten die Polizei rufen, wenn das Handy wieder geht.“
    „Vielleicht ist im Bus noch ein Platz“, mischte der Mann sich ein.
    „Ich weiß nur nicht, auf welcher Seite der Grenze mein Fahrrad sein könnte.“
    „Ich glaube, das spielt keine Rolle.“
    „Wieso?“
    „Na ja, also...“, druckste der Mann. Er kratzte sich am Kopf.
    „Ich glaube, Ihr Fahrrad und Ihre Sachen können Sie sowieso abschreiben.“
    Die Frau nickte.
    „Uns ist an der Côte d’Azur mal das Auto gestohlen worden, wissen Sie. Die Polizei fand nur noch die Karosserie, und die war zuschanden gefahren.“
    „Aber wenn Sie Geld brauchen...“
    „Nein, nein.“
    Nelli schüttelte den Kopf und lächelte.
    „Geld ist nicht das Problem. Aber vielen Dank. Sie beide sind sehr nett.“
    Sie reichten sich die Hände.
    „Der Busfahrer hilft ihnen bestimmt“, sagte die Frau. Nelli sah ihr nach, wie sie mit wehendem Rock zum Auto ging und einstieg. Der Mann ließ den Motor an und gab so rasant Gas, dass die Reifen auf dem
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