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In eisigen Kerkern (German Edition)

In eisigen Kerkern (German Edition)

Titel: In eisigen Kerkern (German Edition)
Autoren: Manfred Köhler
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nächsten Tisch.
    Kein Strom. Erst jetzt fiel Nelli auf, dass es tatsächlich keine Deckenlampen gab. Auf den Tischen standen in altertümlichen Haltern weiße Wachskerzen, daneben lagen Streichhölzer.
    Nelli machte sich über die Brote her. Sie zwang sich, den Aufenthalt hier als eine Station von vielen zu betrachten. Es würde schon alles gut ausgehen. Warum sich also aufregen und damit diesen Reisemoment verderben? In ihrem geplanten Buch bekäme dieser Ort seine Erwähnung. Gut möglich, dass es der Höhepunkt wäre.
    Vielleicht würde sie noch froh sein, dass ihr der Unfall passiert war, wenn sie aus der Distanz heraus davon berichten und ihre Leser damit in Atem halten würde: wie es war, im Polizeigriff dieser Gerda gefangen zu sein und wie eine Verbrecherin angestarrt zu werden; die Ungewissheit, wo ihr Fahrrad sein mochte und ob sie es je wiederbekäme; und dann, hoffentlich, die Erleichterung, es tatsächlich zu finden und die Tour fortzusetzen.
     
    Nelli kaute den letzten Bissen hinunter, trank ihr Glas leer und fühlte sich startbereit. Sie wartete ein paar Minuten und noch ein paar. Andi steckte in der Küche.
    „Zahlen, bitte.“
    Na endlich, die Klasse war im Aufbruch. Doch es kam nicht Andi zum Kassieren, sondern Gerda.
    Nelli wurde es zu dumm. Sie stand auf, stellte sich demonstrativ an die Theke und sah von dort aus zu, wie die Schüler sich trollten. Zuletzt verließ der Lehrer den Raum und bemühte sich krampfhaft, nicht noch einmal zu Nelli hinzusehen. Gerda begann damit, abzuräumen und die Tische abzuwischen.
    „Würden Sie Andi bitte ausrichten, dass ich auch zahlen will“, sagte Nelli bemüht freundlich, als sie mit einem Stapel Teller und Besteck an ihr vorbeiwatschelte.
    „I kimm glei.“
    „Nicht Sie, ich brauche Ihren Chef.“
    Gerda verschwand in der Küche. Nelli spürte ihre Ungeduld in Zorn umschlagen. Sie war allein mit vier jungen Kerlen, die Bier zu ihren Broten tranken, derbe Witze rissen und von ihrer Kluft her Straßenbauarbeiter sein mochten. Von denen wollte sie sich nicht unbedingt mitnehmen lassen.
    Nelli sah von der Theke durchs Fenster aus zu, wie die Schulklasse vom Bus aufgesogen wurde, zuletzt der Lehrer einstieg, wie ein Zittern durch den Bus ging, als der Motor ansprang, während die Tür noch offen stand.
    „Zahlen“, brüllte einer der Arbeiter.
    Die Bustür schloss sich.
    Gerda kam aus der Küche und zückte den Geldbeutel.
    Der Bus bog auf die Straße ein und verschwand aus Nellis Blickfeld.
    Die Männer bezahlten reihum, zeigten sich großzügig mit dem Trinkgeld und standen unter mächtigem Stühle- und Tischerücken, Gröhlen und Lachen auf. Einer rülpste demonstrativ laut.
    Gerda steckte den Geldbeutel ein und schaute Nelli dabei mit einem Blick an, der sagte: An unser Geld kommst du nicht ran.
    „Was ist denn nun?“, fragte Nelli, als sie an ihr vorbei hinter die Theke ging.
    „Wos denn?“
    „Na, haben Sie Ihrem Chef gesagt, dass ich auf ihn warte.“
    „Scho.“
    „Und, wo ist er?“
    „Der konn grod net.“
    „Also, das ist doch...!“
    Nelli schüttelte den Kopf und wollte hinter die Theke und in die Küche gehen.
    Mit einem Schritt versperrte Gerda ihr den Weg.
    „Ich kann wirklich nicht länger warten.“
    „Dann gehns holt.“
    „Ich brauche aber mein Fahrrad!“
    „I wos nix von am Fahrradl.“
    „Andi!“, schrie Nelli so laut sie konnte. „Kommst du bitte mal, ich muss weiter.“
    Gerda blieb ungerührt. Nelli wartete. Keine Antwort.
    „Ach, verdammt!“
    Sie machte kehrt, ging an den Bauarbeitern vorbei zur Tür und verließ die Gaststube.
    Wahrscheinlich war Andi wieder hinten beim Lift.
    „He, Fräulein!“
    Nelli fühlte sich nicht angesprochen, aber drehte sich trotzdem um.
    Die Bauarbeiter kamen hinter ihr aus der Gaststube.
    „Haben Sie Ärger?“
    Der gesprochen hatte war ein großer Kerl mit Baseballkappe, die er auch beim Essen aufbehalten hatte, und weit aufgeknöpftem Hemd. Nelli ließ sich von den vier Männern einholen und umringen.
    „Können wir helfen, Fräulein, äh...?“, fragte der Große noch einmal.
    „Nelli. Ich weiß nicht, vielleicht.“
    „Probleme mit Gerda?“
    „Eigentlich nicht, nicht direkt. Ich bin vom Fahrrad gestürzt, oben am Pass.“
    Die Haustür ging auf, und ein älterer Mann mit Wanderhut, Kniebundhosen und plakettenverziertem Stock kam herein, gefolgt von einem weiteren Wanderfreund und noch einem. Nelli und die vier Arbeiter wichen in Richtung Toiletten aus, um Platz zu
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