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In eisigen Kerkern (German Edition)

In eisigen Kerkern (German Edition)

Titel: In eisigen Kerkern (German Edition)
Autoren: Manfred Köhler
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Hochplateau zwischen den Serpentinen zum Pass und der Abfahrt ins Tal. Direkt an der Terrasse des Gebäudes endete ein Sessellift. Etwas abseits erstreckte sich ein Flachbau, offenbar ein Garagentrakt mit Werkstatt.
    „Altes Zollhaus“ stand auf einem verwitterten Schild neben dem Parkplatz an der Straße. Wären die Autos nicht gewesen, sie hätte das Gebäude samt den Anlagen ringsum für verlassen und geschlossen gehalten.
    Der Haupteingang bestand aus einer rohen Holztür mit einem quer verlaufenden Griff. Sie war angelehnt, und als Nelli sie aufstieß, sah sie kein Schloss.
    Direkt neben der Tür hing im Flur zur Gaststube ein Spiegel. Es war seit Tagen der erste, den Nelli zu sehen bekam. Ihre kurz geraspelten Haare standen nach allen Richtungen ab. Im Gesicht hatte sie einen Dreckfleck, der sich mit Spucke zwar beseitigen ließ, aber am blutbefleckten, zerrissenen T-Shirt ließ sich nichts richten. Wie sie wohl riechen mochte? Die letzte Dusche hatte sie... vorgestern?
    Die Tür der Wirtsstube ging auf. Eine Frau mit blaugeblümtem Seidenrock und trägerlosem Top kam heraus, streifte Nelli mit dem flüchtigen Blick zufälliger Begegnung, betrachtete die verschrammten Knie, die ausgefranste Jeans und wandte sich dann etwas zu rasch der Tür zum Damenklo zu.
    Weg war sie, und Nelli schämte sich. Am liebsten hätte sie das Unterkunftshaus schnurstracks verlassen. Die Wirtsstube würde voll von Leuten sein, die sie auf den ersten Blick als Landstreicherin einstuften.
    Ihr Herz klopfte, als sie die Tür aufdrückte. Der Gastraum war karg eingerichtet. Blanke Natursteinwände, Stroh auf dem Steinfußboden, schmucklose Holzstühle. Der Wirt kam mit einem Tablett leerer Gläser auf dem Weg zur Theke an Nelli vorbei und starrte sie an.
    „Meine Güte, was ist Ihnen denn passiert?“
    „Ich hatte einen Unfall.“
    Er beeilte sich, die Gläser auf die Theke zu stellen, kam rasch zu ihr zurück und wischte sich die Hände an einem rotkarierten Geschirrtuch ab, das halb aus seiner Jeanstasche heraushing. Durch seine lange Hippie-Matte und den Vollbart wirkte er jugendlich, aber tiefe Falten und dunkle Ringe unter den Augen widersprachen dem ersten Eindruck. Er nahm ihr die Tür aus der Hand und schloss sie.
    „Sind Sie verletzt?“
    Sanft ergriff er ihren Oberarm und führte sie zu einem der leeren Tische.
    „Nicht der Rede wert, aber...“
    „Warten Sie.“
    Er setzte sie auf einen Stuhl und eilte zurück zur Theke. Nelli fiel auf, dass sie angestarrt wurde. Es waren, übereinstimmend mit den parkenden Autos, drei Tische besetzt. Eine Familie mit zwei Töchtern und einem kleinen Jungen saß ganz hinten auf der Eckbank, ein älteres Ehepaar in der entgegengesetzten Ecke der Wirtsstube und in der Mitte ein junger Kerl mit hochgekrempelten Jackettärmeln und Goldkettchen am Handgelenk. Zu wem der gehörte, konnte Nelli sich denken.
    Der Wirt kam mit einem Verbandskasten zurück. Ihr war das peinlich.
    „Ich bin wirklich nicht sehr verletzt. Nur das Handgelenk verstaucht und eine Beule am Hinterkopf.“
    „Trotzdem“, sagte er, setzte sich zu ihr, öffnete den Verbandskasten und entnahm ein braunes Fläschchen mit Jod-Tinktur. Er beträufelte einen Wattebausch und betupfte damit die Wunde am rechten Handballen.
    „Keine Angst, ich hab so was schon öfter gemacht. Ich bin übrigens der Andi.“
    „Ich heiße Nelli.“
    Hinter ihnen wurde es unruhig, und Andi fuhr herum. Das ältere Ehepaar war aufgestanden und ging an ihnen vorbei zur Tür.
    „Können wir irgendwie helfen?“, fragte der Mann und betrachtete Nelli von Kopf bis Fuß. Seine Frau war sichtlich erleichtert, als Nelli nicht sofort bejahte.
    „Ich bräuchte erst mal ein Telefon.“
    „Sollen wir Sie vielleicht mitnehmen? Wir sind auf dem Weg über den Pass.“
    Nelli überlegte, aber wurde durch einen heftigen Schmerz abgelenkt. Andi rubbelte mit dem jodgetränkten Wattebausch fest über ihr aufgeschrammtes rechtes Knie. Nelli fragte sich, ob er wirklich wusste, was er da tat.
    „Die junge Dame muss erst mal verarztet werden“, meinte die Frau, aber der Mann beharrte:
    „Vielleicht ist es besser, wenn wir sie zu einem richtigen Arzt mitnehmen. Nichts für ungut, Herr Hüttenwirt.“
    Nelli wischte sich eine Träne aus dem Auge und fragte:
    „Sie wollen aber doch über den Pass?“
    „Ja.“
    Sie dachte an die Grenze jenseits des Passes und daran, dass der Diebstahl auf dieser Seite passiert war.
    „Nicht meine Richtung. Aber vielen
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