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In eisigen Kerkern (German Edition)

In eisigen Kerkern (German Edition)

Titel: In eisigen Kerkern (German Edition)
Autoren: Manfred Köhler
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Dank.“
    Der Mann nickte. Seine Frau hakte sich erleichtert bei ihm unter und zog ihn zur Tür.
    „Alles Gute“, rief er über die Schulter zurück.
    „Danke.“
    „So, das hätten wir.“
    Andi packte seinen Sanitätskasten zusammen.
    Nelli war in Gedanken noch bei dem älteren Ehepaar. Falsche Richtung, aber trotzdem. Sie sah die beiden durchs Fenster in ihr Auto einsteigen. Noch war es nicht zu spät. Vielleicht waren sie bereit, noch mal umzukehren und sie auf dieser Seite ins Tal zu bringen. Der Frau würde es nicht gefallen, aber der Mann würde wohl einwilligen.
    „Jetzt bring ich dir erst mal ein schönes Frühstück zur Stärkung.“
    „Was?“
    „Magst lieber was Herzhaftes oder...“
    „Eigentlich...“
    Nelli warf noch einen raschen Blick aus dem Fenster. Der Mercedes des älteren Ehepaares bog gerade vom Parkplatz auf die Straße.
    „Käse und Schinken? Oder Müsli und Marmeladenbrot?“
    „Eigentlich hab ich schon gefrühstückt. Ich müsste nur mal telefonieren.“
    „Ein Telefon gibt es hier oben nicht.“
    „Kein Telefon?“
    Ein rascher Blick zum Fenster. Der Mercedes war verschwunden.
    Als Nelli den Blick wieder in die Gaststube richtete, fiel ihr auf, dass die Seidenrock-Tussi neben dem Jackett-Träger mit Goldkettchen saß. Sie hatte sie gar nicht hereinkommen sehen. Die beiden glotzten unverhohlen zu ihr herüber und unterhielten sich flüsternd.
    Ist ewig her, dass ich zuletzt einen Rock anhatte, dachte Nelli. Es war an jenem Tag...
    Ihre Kleider fielen ihr ein, ihr Schmuck, ihr Haus, die Möbel und Bilder und Pflanzen darin. Das alles war längst verkauft, in alle Winde zerstreut, Vergangenheit. Wer es wohl in diesem Augenblick besitzen mochte? All diese Sachen waren ein wichtiger Teil von ihr gewesen – so wichtig wie jetzt ihr Fahrrad, ihr Kochgeschirr, ihre Vorräte, die Wasserflaschen, ihr Tagebuch. Vor allem das Tagebuch.
    „Ich bringe einfach von allem etwas und vorneweg eine große Schorle.“
    Aus ihren Gedanken gerissen, starrte Nelli ihm hinterher. Sie sprang auf.
    „Nein, warte bitte!“
    Er drehte sich um, den Verbandskasten noch in den Händen.
    „Du musst doch ein Telefon haben. Oder ein Funkgerät. Irgend etwas, womit du Kontakt ins Tal hältst.“
    Andi schüttelte den Kopf.
    „Ich bin hier oben ziemlich autark. Vorratslieferung funktioniert per Dauerauftrag, und dann bin ich ja auch oft genug selber unten.“
    „Also es ist so, ich hatte ja nicht nur einen Unfall, sondern...“
    „Zahlen, bitte!“, rief sehr laut der Familienvater am hinteren Ecktisch.
    „Komme sofort!“, antwortete Andi und setzte sich in Bewegung. Zu Nelli sagte er im Davoneilen: „Ich bin gleich wieder bei dir, dann reden wir über alles.“
    Sie nickte und trottete zu ihrem Tisch am Fenster zurück.
    Nach wie vor kein Verkehr draußen. Und nach wie vor starrte das Pärchen herüber.
    Nelli ignorierte die beiden und schaute sich etwas gründlicher in der Wirtsstube um. Neben der Eingangstür hing eine Landkarte. Offensichtlich die Bergregion um den Pass.
    Interessiert stand Nelli auf. Natürlich hatte sie selbst auch Kartenmaterial gehabt, aber bei weitem kein so genaues. Das Unterkunftshaus und der Lift waren bei ihr nicht eingezeichnet gewesen. Und auch der Gletscher, der von oberhalb des Passes unweit des Hauses Richtung Tal kroch, war ihr nicht aufgefallen.
    Die Karte hier war aus den 70er Jahren. Damals gab es den Tunnel noch nicht, und am Pass hier oben lag der offizielle Grenzübergang – in der Nähe der verfallenen Gebäude hatte sie gestern Abend ihr Zelt aufgeschlagen.
    Nelli wurde klar, warum ein so abgelegenes Haus wie dieses so geräumig ausgestattet war: Früher musste hier, vor allem in der Ferienzeit, enormer Betrieb gewesen sein in dieser letzten Raststätte vor der Grenze. Wer heute hier oben vorbeikam, der wählte den Weg vielleicht aus nostalgischen Gründen, wegen des Panoramas, vor allem aber wohl, um die beträchtliche Tunnelmaut zu sparen.
    Nelli ging zu ihrem Platz zurück. Andi stand immer noch am Tisch der Familie. Den schwarzen Geldbeutel hatte er hinten in den Bund seiner Jeans gesteckt, das Geschirrtuch über die Schulter geworfen, und er beugte sich über den Tisch. Der Familienvater hatte eine Straßenkarte ausgebreitet und ließ sich etwas erklären. Um den Weg konnte es nicht gehen, denn die Straße führte entweder in die eine oder die andere Richtung ins Tal, Abzweige gab es nicht.
    Der Familienvater deutete mit dem Daumen hinter sich an die Wand
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