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In einer anderen Haut

In einer anderen Haut

Titel: In einer anderen Haut
Autoren: Alix Ohlin
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Decke und Laken zusammen, trug das Bündel nach unten und bezog das Sofa.
    «Was haben Sie denn zu essen da?», fragte sie.
    Nun sah er nicht verärgert, sondern sogar leicht amüsiert drein. Die Ahnung eines Lächelns umspielte seine Lippen. «Nichts.»
    «Dann bestellen wir eine Pizza», sagte sie.
    «Meinen Sie das ernst? Was ist das jetzt für eine Nummer?»
    «Ich habe Sie im Schnee gefunden», erwiderte sie. «Und ich will nicht, dass Sie noch einen Selbstmordversuch begehen.»
    «Ach, und das gibt Ihnen das Recht, mich zu kontrollieren? Einen Daumen auf mein Leben zu haben?»
    «Nein. Ich finde einfach nur, wir sollten Pizza bestellen.»
    Und genau das tat sie auch. Der Dackel verschwand durch eine Hundeklappe nach draußen und trippelte unschlüssig im kleinen Garten des Hauses herum, ehe er schnell wieder hereinlief. Grace holte Teller, Servietten und Gläser und deckte den kleinen Wohnzimmertisch. Als die Pizza kam, bezahlte sie den Boten. Es kümmertesie nicht, dass es bereits zehn war und sie am nächsten Morgen Patienten hatte. Tug hielt sie bestimmt für eine Wichtigtuerin oder eine zutiefst einsame Frau, die kein Zuhause hatte. Womit er nicht ganz Unrecht hatte. Jedenfalls machte sie ungern Fehler, und sie würde es gewiss nicht zulassen, dass er noch einmal versuchte, sich umzubringen, wenn ihre bloße Anwesenheit genügte, um ihn davon abzuhalten.
    Sie aßen Pizza und sahen sich einen Film aus den Siebzigern mit Jane Fonda an. Als er zu Ende war, sagte sie: «Versuchen Sie doch einfach, ein bisschen zu schlafen. Soll ich Ihnen eine Schmerztablette bringen?» Soweit sie wusste, hatte er bislang keins der verschriebenen Medikamente genommen.
    «Nightingale», sagte er.
    «Sie meinen Florence? Hören Sie, ich will bloß, dass es Ihnen gut geht.»
    «Es ginge mir besser, wenn Sie mich jetzt in Ruhe lassen würden», sagte er. «Wollten Sie nicht verschwinden, wenn hier alles geregelt ist?»
    «Das geht nicht», erwiderte Grace. «Zumindest nicht heute Nacht.»
    «Warum?», fragte er in entnervtem Tonfall.
    «Weil ich es mir nie verzeihen würde, wenn ich jetzt gehe und Sie sich umbringen.»
    Den Kopf auf der Sofalehne, den bandagierten Knöchel auf ein Kissen gebettet, musterte er sie stirnrunzelnd. Das Blut war in seine Lippen zurückgekehrt, und nun fiel ihr auf, dass sie ziemlich rosig waren, nicht feminin, aber sinnlich und voll, auch wenn von ihnen in diesem Augenblick kaum mehr als ein zorniger Strich zu sehen war. «Ihnen geht’s in erster Linie um Sie selbst, stimmt’s? Sie haben einen Komplex oder so was.»
    «Vielleicht», sagte sie gleichmütig.
    «Sie wollen, dass ich in Ihrer Schuld stehe.»
    «Sie schulden mir gar nichts. Ich will lediglich, dass Sie sich nichts antun.»
    «Warum?», fragte er abermals.
    «Wenn Sie wüssten, dass jemand vorhat, einen Mord zu begehen», erwiderte sie, «würden Sie sich nicht verpflichtet fühlen, denjenigen daran zu hindern?»
    Er schüttelte den Kopf. «Das wäre etwas anderes.»
    «Nicht für mich.»
    «Vielleicht sind Sie ja auch auf irgendeinem perversen Trip und stehen auf kaputte Typen, die Sie retten und dominieren können.»
    Grace lachte. «Wer ist denn hier der Therapeut?»
    Obwohl sie es selbst auf dem Totenbett nicht zugegeben hätte, musste sie massiv gegen den Impuls ankämpfen, sich zu ihm zu setzen und seine Hand zu halten. Sie war fest davon überzeugt, dass körperlicher Kontakt ihn irgendwie erden würde. Sie wollte ihn in den Arm nehmen oder über seine Wange streichen, ihm durch ihre Berührung zu verstehen geben, dass er nicht allein, dass er etwas wert war, dass ihm Beachtung und Mitgefühl geschenkt wurden. Sie beugte sich in ihrem Sessel vor, wenn auch nur ein kleines Stück, um ihn nicht zu verstören.
    «Meine Exfrau wäre sicher alles andere als begeistert, Sie hier vorzufinden», sagte Tug.
    «Und warum?»
    «Sie ist ausgesprochen eifersüchtig.»
    «Dafür gibt es wahrlich keinen Grund.»
    «Tatsächlich? Sie kommt zurück und findet hier eine fremde Frau vor, die mir eine außerplanmäßige Therapiestunde gibt? Ach,
so
nennt man das neuerdings? Genau das würde sie sagen!»
    «Sie hat sich also von Ihnen getrennt, weil Sie untreu waren», sagte Grace.
    «Nein», gab er zurück. «Nein.» Zum ersten Mal verlor seine Miene ihren gleichgültigen Ausdruck. Seine Gefühle überwältigten ihn, und plötzlich standen Tränen in seinen Augen.
    Sie wartete darauf, dass er fortfuhr, doch als er schwieg, beschloss sie, das Thema zu
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