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In einer anderen Haut

In einer anderen Haut

Titel: In einer anderen Haut
Autoren: Alix Ohlin
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langsam, setzte vorsichtig einen Fuß vor den anderen, als trüge sie Pumps mit hohen Absätzen statt soliden, pelzgefütterten Stiefeln mit Gummisohlen. Doch trotz ihrer fragilen Ausstrahlung sah sie richtig gut aus. Ihre Augen strahlten, ihre Wangen waren gerötet, und das lange Haar fiel in sanften Wellen über ihre Schultern.
    «Und wie läuft’s bei dir?», fragte sie.
    «Alles bestens», sagte er.
    «Fährst du über Weihnachten nach Mississauga?»
    «Aber klar. Ich muss Malcolms Kids schließlich ein paar neue Unarten für 2007 beibringen.»
    Grace legte den Kopf schief. «Das freut mich sehr. Du bist viel zu oft allein, finde ich.»
    Er schwieg.
    «Irgendwie kommt es mir vor, als hätte ich dir für deine Hilfe nicht genug gedankt.»
    «Mehr als genug», sagte er.

    Als sie das Einkaufszentrum verließen, war es dunkel geworden; das Eis auf den Gehsteigen funkelte im Licht der Straßenlaternen. Mit hochgezogenen Schultern hasteten sie zum Auto und verstauten die Geschenke im Kofferraum. Mitch drehte die Heizung auf, und ein paar Blocks später war Sarah auf dem Rücksitz eingeschlafen, ihr Gesicht unter Mütze und Kapuze verborgen.
    Er fuhr die Sherbrooke Street in westlicher Richtung. Jenseits des McGill-Campus zeichneten sich die dunklen Konturen des Mount Royal mit dem erleuchteten Kreuz vor dem Horizont ab. Grace suchte einen Klassiksender, und dann erfüllten die sanften Klänge eines Klavierkonzerts den Wagen. Sie schwiegen. Sie hatte ihr Gesicht abgewandt und sah aus dem Seitenfenster, das immer mehr beschlug. Wie ein Kind zog sie einen Handschuh aus, schrieb mit der Fingerspitze ein paar unleserliche Buchstaben auf die beschlagene Scheibe, wischte sie weg und zog den Handschuh wieder über. Er blickte zu ihr hinüber und fragte sich, warum sie plötzlich so auffällig still war, nachdem sie sich eben noch mit solchem Elan ins Weihnachtsgetümmel gestürzt hatte. Wahrscheinlich war sie einfach nur ebenfalls erschöpft. Während er abermals den Blick über ihre schmale und doch starke Gestalt, ihre bordeauxrote Mütze und das darunter hervorquellende dunkle Haar schweifen ließ, spürte er wie ihn ein seltsamer Schauder überlief, ein Prickeln ungewohnter Energie. Sie würde ihm fehlen.
    Zehn Minuten später hielt er vor ihrem Haus. Sarah schlief immer noch.
    Grace rieb sich die Augen und wandte sich zu ihm. «Du hast mir heute das Leben gerettet», sagte sie. «Vielen, vielen Dank.»
    «Ach, das war doch nichts», sagte Mitch.
    «Und ob.» Sie beugte sich zu ihm herüber und küsste ihn auf die Wange, der Kuss einer Exfrau, freundschaftlich, geschlechtslos.
    Und trotzdem lag etwas in ihrem Kuss, das ihn regelrecht überwältigte, und plötzlich wurde ihm bewusst, dass er ihre Hand hielt. Durch die dicken, gefütterten Lederhandschuhe konnte er die Konturen ihrer Finger kaum ertasten, ihre Muskeln und Wärme kaum spüren. «Ich bin froh, dass es dir wieder besser geht», sagte er.
    Grace nickte. Ihre Augen glänzten ernst und sanft im Dunkel. Offenbar hatte der Klang seiner Stimme etwas bei ihr ausgelöst, denn sie drückte plötzlich seine Hand. Sie schien genau zu wissen, was er brauchte, auch wenn ihm nicht klar war, woher. Aber vielleichtwar das ja
ihr
Talent. Sie stieg aus, weckte Sarah und nahm sie in die Arme. Mitch öffnete den Kofferraum und lud die Geschenke aus. Da stand er nun; die Henkel der schweren Einkaufstüten schnitten in seine Handflächen. Er wartete.
    Sie lächelte ihn im Winterdunkel an, und dann bat sie ihn herein.

Danksagung
    Ich danke meinen Kollegen am Lafayette College für ihre rückhaltlose Unterstützung und die Gelegenheit, meine Lehrtätigkeit ein Jahr lang ruhen zu lassen; in dieser Zeit entstand die Erstfassung des vorliegenden Romans. Das erste Kapitel begann ich in der Mac-Dowell Colony, weitere Kapitel entstanden während Aufenthaltsstipendien am Djerassi und dem Château de Lavigny – wunderschöne Orte, deren Verdienste um die Künstlerförderung gar nicht hoch genug geschätzt werden können. Zahlreiche Freunde und Verwandte haben mir mit hilfreichen Anmerkungen unter die Arme gegriffen, darunter Joyce Hinnefeld, Don Lee, Ginny Wiehardt, mein Bruder und meine Eltern. Jenny Boyar war mir bei meinen Recherchen in Sachen Psychotherapie und Schauspielerei eine unschätzbare Hilfe. Ebenfalls danke ich Yves und Christine Cormier, Liette Chamberland, Ann Devoe und Diane Robinson für ihre Hilfe bei den französischen Dialogen und Fragen zur Topographie Montreals.
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