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In einer anderen Haut

In einer anderen Haut

Titel: In einer anderen Haut
Autoren: Alix Ohlin
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gehört. Aber er ist nie da, und dann entdeckt sie einen Schlüssel, mit dem sie in den geheimen Garten hinter dem Haus kommt. Zuerst sorgt sie dafür, dass alle Blumen wieder blühen, und dann ist da noch ein verkrüppelter Junge, der durch sie wieder gehen lernt, und schließlich kehrt auch ihr Onkel zurück, und alle sind glücklich und zufrieden, und all das hat der Garten bewirkt.»
    «Und deshalb wünschst du dir ebenfalls einen Garten?», fragte Mitch.
    Sarah zuckte mit den Schultern. «Ach, das ist einfach nur so eine Idee.»
    Diese Erwachsenenfloskeln, die sie manchmal benutzte, passten überhaupt nicht zu einem Mädchen ihres Alters. Sie las eben viel, dachte er. Dennoch verliehen ihr solche Phrasen etwas Altkluges, das sie trotz der süßen blonden Zöpfe und ihrer offensichtlichen Intelligenz zuweilen eingebildet wirken ließ. Er konnte sich nicht des Eindrucks erwehren, dass sie und Grace sich einigelten, abkapselten vom Rest der Welt. Wie in einem geheimen Garten. Der Gedanke weckte den Wunsch in ihm, die beiden nach draußen zu scheuchen, ihnen all das zu zeigen, was da draußen auf sie wartete, ein bisschen mehr Fröhlichkeit und Verrücktheit in ihr Leben zu bringen.
    «Zack!», sagte er und riss ihr das Kissen aus dem Schoß.
    Sie lachte, versuchte das Kissen zu erhaschen, es ihm zu entwinden, während er es immer wieder in andere Richtungen hielt. «Gib es mir zurück!»
    «Na, hol’s dir doch», sagte er und hielt es noch ein Stückchen höher.
    Sie schien ihren Garten komplett vergessen zu haben, sprang wild um ihn herum und kreischte dabei vor Vergnügen. Schließlichkroch sie über seinen Schoß, und er überließ ihr das Kissen, das sie umgehend auf seinen Kopf niedersausen ließ.
    «Erwischt», sagte er. «Du bist einfach zu schnell.»
    «Das stimmt», sagte sie mit einem bescheidenen Lächeln. «Ich bin
extrem
schnell.» Dann sprang sie vom Bett und lief aus dem Zimmer.

    Etwa eine Stunde später zogen sie sich Jacken und Mützen über und gingen in den Park. Sarah traf eine Freundin und lief mit ihr zum Spielplatz, wo sie aber nicht miteinander spielten, sondern sich nur auf die Schaukeln setzten und innerhalb von Sekunden tief in ein Gespräch versunken waren.
    Die Hände in den Jackentaschen vergraben, warf Grace einen Blick zu den beiden hinüber. «Du lieber Himmel», sagte sie. «Heute kommen sie schon mit zehn in die Pubertät.»
    Die Mutter des anderen Mädchens, eine junge Frau mit langen Locken und auffälligen Ohrringen, nickte nachdrücklich. «Und es wird immer schlimmer», bemerkte sie. «Jetzt will sie sogar schon, dass ich Make-up für sie kaufe.»
    «O Gott», sagte Grace. «Nicht auch das noch.»
    Die beiden Frauen unterhielten sich weiter über die Probleme, die ihre Töchter ihnen noch bereiten würden, während die Mädchen zwanzig Meter von ihnen entfernt nach wie vor aufgeregt miteinander tuschelten. Es war windiger geworden. Sehnsüchtig blickte Mitch zu ein paar Männern hinüber, die am anderen Ende des Parks Frisbee spielten. Warum mussten die Mädels sich ausgerechnet hier draußen festquatschen? Frauen, dachte er.
    Alle anderen Parkbesucher waren in Bewegung: Leute, die mit ihren Hunden Stöckchen spielten, Eltern, die Kleinkindern hinterherliefen, Paare, die die Wege entlangschlenderten, die Hände in denTaschen des anderen vergraben. Eine peruanische Band packte ihre Flöten und Trommeln aus. Trotz des bewölkten Himmels herrschte eine beschwingte, fröhliche Atmosphäre.
    Eine bemerkenswert hübsche junge Frau kam ihnen entgegen. Für das Wetter war sie um einiges zu dünn angezogen, trug lediglich Jeans und Pullover, keine Mütze, und ihr langes blondes Haar flatterte wie eine Flagge im Wind. Die hochhackigen Stiefel verliehen ihr einen sanften, sexy Hüftschwung. Im Vorübergehen warf sie ihnen einen Blick zu, doch Mitch dachte sich nichts dabei, sondern registrierte lediglich ihre bemerkenswerte Schönheit. Dann aber wandte sie sich um und kam zurück. Unwillkürlich fuhr sich Mitch durch die Haare, auch wenn ihm klar war, dass sie sich keineswegs für ihn interessierte. Er war alt genug, ihr Vater zu sein, doch ihre Neugier war unübersehbar.
    Die junge Frau blickte Grace an. Als sie näher kam, stellte Mitch fest, dass sie ihm irgendwie bekannt vorkam, aber er hätte sie in tausend Jahren nicht einordnen können. Grace nahm sie kaum wahr. Kurz sah sie zu der Frau hinüber, schien einen winzigen Augenblick lang sogar aufzumerken, dann aber wandte sie sich
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