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In dieser ganz besonderen Nacht (German Edition)

In dieser ganz besonderen Nacht (German Edition)

Titel: In dieser ganz besonderen Nacht (German Edition)
Autoren: Nicole C. Vosseler
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Geräuschvoll stieß er den Atem aus. »Aber du scheinst ganz in Ordnung zu sein und … ganz ehrlich, ich … Also, ich weiß nicht, ob ich wirklich Joe heiße. Den Namen haben mir die anderen gegeben. Kurz für John Doe .« Leiser fügte er hinzu: »Ich weiß nicht, wie ich heiße. Wer ich überhaupt bin.«
    Mein Herz hämmerte wie verrückt gegen meine Rippen. »Welche … welche anderen?«
    »Die anderen Obdachlosen.« Seine Wangen färbten sich. »Die mich gefunden und sich ein bisschen um mich gekümmert haben.«
    »Was ist passiert?«, flüsterte ich tonlos.
    Er hob die Schultern. »Ich weiß es nicht. Ich bin im Dezember in einem Hinterhof zwischen den Müllcontainern zu mir gekommen, nachdem mich Terry und Ed geschüttelt haben. Wie bewusstlos muss ich dagelegen haben, wer weiß, wie lange. Sie haben mich in ihr Asyl in der Sutter Street mitgenommen und da wohne ich jetzt.« Sein Kopf ruckte in Richtung der Straßenecke gegenüber. »Ich arbeite ein paar Stunden die Woche bei Walgreens. Kartons auspacken und Ware auffüllen und so. Ist ganz okay.«
    Meine Kehle war eng und ich musste schlucken. »Und du … du kannst dich an nichts erinnern.«
    Er schüttelte den Kopf. »Nein. Manchmal …« Sein Blick glitt ins Leere. »Manchmal denke ich, dass mir etwas irgendwie bekannt vorkommt. Aber wirklich vertraut ist es mir nie, alles ist irgendwie … fremd. Und was mich selbst angeht, ist alles schwarz. Wie ausgelöscht.«
    Ich schaute ihn an und sah Nathaniel vor mir, in seinem grauen Hemd, der dunklen Hose und den klobigen Schuhen. »Was hast du angehabt?« Seine Brauen zogen sich verständnislos zusammen. »An dem Tag, als sie dich gefunden haben – was hattest du da an?«
    Bis unter die Haarwurzeln lief er rot an. »Nichts.«
    »Nichts wie in gar nichts ?«, rutschte es mir heraus, und glutrot im Gesicht nickte er.
    »Autsch.«
    Er warf mir einen schnellen Blick zu, dann hob sich einer seiner Mundwinkel zu einem schiefen Grinsen. »Eher arschkalt. «
    Ich gluckste in mich hinein, und als wir uns in die Augen schauten, lachten wir beide.
    »Du bist wirklich schwer in Ordnung«, sagte er dann leise.
    Ich zog die Unterlippe zwischen die Zähne. Ja, es war ganz und gar unmöglich, dass Nathaniel neben mir saß. Dass ihm eine zweite Chance gewährt worden war und er sich dieses Mal an rein gar nichts mehr erinnern konnte. Noch nicht einmal an mich. Aber was hatte ich bis vor einem Jahr nicht alles für unmöglich gehalten … Vielleicht … vielleicht.
    Entschlossen setzte ich meinen Kaffeebecher auf dem Fensterbrett ab, schob mich vom Hocker herunter und stellte mich dicht vor Joe hin. Ich war so aufgeregt, dass meine Knie zitterten und ich ins Schwanken geriet.
    »Hey, Vorsicht.« Mit einer Hand hielt er mich am Arm fest. Wie ein elektrischer Schlag jagte es durch mich hindurch, und dort, wo er mich berührte, drang seine Wärme durch meine Bluse bis auf meine Haut. Eine leichte Röte auf den Wangen, stellte er seinen eigenen Becher weg. »Alles okay bei dir?«
    »Sag ich dir gleich«, murmelte ich, legte meine Arme um seinen Hals, holte tief Luft und drückte meinen Mund auf seinen. Mit einem überraschten Laut versteifte er sich; einen Augenblick lang dachte ich, er würde sich mir entziehen oder mich wegschubsen. Aber dann legte er seine Hand auf meinen Rücken, drückte mich an sich und erwiderte meinen Kuss, erst ein bisschen ungeschickt, dann zunehmend sicherer. Er schmeckte nach Kaffee und Milch, süß und ein bisschen salzig, und ich ertrank geradezu in diesem Kuss, der mich erschauern ließ und mein Herz in Jubel versetzte.
    »Whu-huuuuu«, johlte es hinter mir; jemand pfiff anerkennend. Eine Jungsstimme rief prahlerisch: »Heyyyy! Das ist Amerika! Das ist San Francisco! Hier ist alles möglich!«
    Ich musste kichern, und auch Joe lachte auf, bevor wir uns voneinander lösten. Ich konnte nicht anders, ich musste mein Gesicht in seine Halsbeuge pressen, die knochige Härte seines Schlüsselbeins spüren, seine weiche Haut dort an meiner und vor allem seinen Pulsschlag, einen kräftigen, gleichmäßigen Pulsschlag. Tief sog ich seinen Geruch ein, ein bisschen nach muffigen Klamotten, nach Waschpulver und einem billigen Duschgel; darunter roch er moosig und holzig. Nach Haut und Haar und ganz und gar lebendig roch er und ich zerfloss vor Seligkeit.
    »Ähmm«, hörte ich ihn zögerlich sagen, »Bist du immer so direkt?« Lächelnd warf ich den Kopf zurück und sah ihn an. Ein kleines Grinsen auf dem
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