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In dieser ganz besonderen Nacht (German Edition)

In dieser ganz besonderen Nacht (German Edition)

Titel: In dieser ganz besonderen Nacht (German Edition)
Autoren: Nicole C. Vosseler
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Stelle rühren konnte dort auf der Straße. Dass Shane ums Leben kam, weil er mir helfen wollte. Es war absolut schrecklich, bei ihnen zu Hause zu sein, ihnen ins Gesicht zu sehen und ihnen dann auch noch Grüße von ihrem toten Sohn auszurichten.« Ich prustete in das Kleenex und griff schon nach dem nächsten. »Und wie lieb sie zu mir waren, war mindestens genauso schlimm – und gleichzeitig hat es mir so gutgetan.«
    Auf dem Sofa mit den riesigen Mohnblumen im Wohnzimmer der Diggs hatte ich stockend und unter Tränen davon erzählt, wie ich während meines Herzstillstands auf der anderen Seite gewesen war und mich von Shane verabschiedet hatte. Tasha war die Erste gewesen, die sich zu mir auf das Sofa gesetzt und meine Hand genommen hatte. Kinder sind eine Leihgabe Gottes , hatte sie leise gesagt. Irgendwann muss man sie ziehen lassen. Die einen später, die anderen früher – und manchmal werden sie einem leider auch viel zu früh schon entrissen. Sie wechselte einen kurzen Blick mit ihrem Mann Nelson, den ich kaum anschauen konnte, weil er Shane so ähnlich sah; dieselbe kräftige Statur und dieselben starkknochigen Gesichtszüge, und auch seine grau melierten Haare trug er so kurz geschoren wie sein Sohn. Ich bin froh, dass du ihm noch einmal begegnet bist und uns jetzt sagen konntest, dass es ihm gut geht und dass er glücklich ist. Mit einem kleinen Lächeln sah sie ihren Mann und die beiden Mädchen an, dann wieder mich. Wir wissen ja, dass wir ihn eines Tages wiedersehen werden.
    Kayla hatte mit großen Augen zugehört; dann hatte sie sich zwischen ihre Mutter und mich auf das Sofa gequetscht und eng an mich gekuschelt, beide Ärmchen fest um mich geschlungen. Mit einem tiefen Ausatmen war Nelson aufgestanden, hatte sich neben mir wieder niedergelassen und mir vorsichtig die Hand auf die Schulter gelegt. Und Tamika hatte mich aus ihrem hübschen, völlig verweinten Gesicht angesehen und so etwas wie ein Lächeln zustande gebracht. Ich hatte mich noch nie so elend und gleichzeitig so getröstet gefühlt.
    »Ich denke, für dich war es ganz wichtig, zu ihnen zu gehen und darüber zu sprechen«, sagte Dr. Katz leise. »Und auch die Erfahrung, dass Shanes Familie dir keine Vorwürfe macht. Auch wenn du schwer an deinem Schuldgefühl trägst: Das ist etwas, das du von nun an mit dir selbst ausmachen musst. Mit meiner Hilfe natürlich.«
    Wackelig erwiderte ich ihr Lächeln und nickte. Sobald ich aus dem Krankenhaus entlassen wurde, hatte ich den ersten Termin bei Dr. Katz gemacht. Auf meiner Krücke und mit Gipsarm war ich dreimal die Woche mühselig aus dem Taxi gekrabbelt und dann in ihre Praxis gehumpelt; so nervig ich es früher oft fand, zu ihr zu gehen, so lebenswichtig waren mir die Stunden bei ihr nun geworden.
    Ich wollte nichts mehr verschweigen und vor nichts mehr im Leben davonlaufen, das war etwas, was ich aus dem Unfall gelernt hatte, und daraus, dass ich für einige Minuten tot gewesen war. Dafür war das Leben einfach zu kurz, und so sprudelte ich in jeder Stunde bei Dr. Katz unsortiert alles heraus, was ich auf dem Herzen hatte und was mir durch den Kopf ging. Geweint hatte ich in diesen Stunden, geschrien und getobt und mir buchstäblich alles von der Seele geredet. Meine Wut auf Mam, weil sie krank geworden und gestorben war. Weil sie einfach bestimmt hatte, dass ich hier leben sollte, und wie mies ich es selbst von mir fand, ihr deshalb böse zu sein. Und wie ungeheuer ich sie vermisste – etwas, das nach Meinung von Dr. Katz wohl nie ganz vorbei sein, mit dem ich aber zu leben lernen würde. Meine Wut auf Dad, weil er so viele Jahre einfach nie dagewesen war, und wie es sich anfühlte, ihn trotzdem gern zu haben und gut mit ihm klarzukommen. Ein paarmal hatte ich mich an der Uni als Gasthörerin in seine Vorlesungen gehockt; es war spannend, was er über die Bräuche und den Glauben verschiedener Völker erzählte, während er über einen Beamer dazu passende Bilder von seinem Laptop an die Leinwand warf. Und wenn ich mich verstohlen umschaute und sah, wie gebannt ihm die Studenten zuhörten, eifrig mitschrieben und über seine Scherze lachten, war ich ziemlich stolz auf meinen Dad.
    Auch von Nathaniel hatte ich Dr. Katz endlich erzählt und sie hatte mich weder für verrückt gehalten noch in die Klapse eingewiesen. Sondern mir einfach zugehört und immer wieder verdammt kluge Fragen oder Bemerkungen dazu eingeworfen.
    »Wissen Sie«, fing ich nach einer kleinen Pause wieder an, »was
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