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In dieser ganz besonderen Nacht (German Edition)

In dieser ganz besonderen Nacht (German Edition)

Titel: In dieser ganz besonderen Nacht (German Edition)
Autoren: Nicole C. Vosseler
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dann erschien ein wackeliges Lächeln auf seinem Gesicht, und seine Augen schimmerten feucht. »Amber.« Seine Stimme klang total heiser und kratzig »Ich bin froh, dass du wieder bei uns bist.«
    Meine Brauen zogen sich zusammen. »W-was …«
    Ted schluckte. »Du hattest einen schlimmen Unfall. Erinnerst du dich?«
    Ich blinzelte. Eine gefühlte Ewigkeit herrschte absolute Leere in meinem Hirn. Dann tauchten vor meinem inneren Auge Bildfetzen auf und in meinem Kopf Bruchstücke von Erinnerungen. Nathaniel. Das Haus in der Franklin Street. Schneeflocken, die vom Himmel fielen. Die Scheinwerfer des Taxis. Der Crash.
    Vorsichtig nickte ich.
    »Dich hat’s böse erwischt. Dein …« Er atmete tief durch und fasste sich unter die Brillengläser, um sich unter den Augen entlangzufahren, und seine Stimme klang belegt, als er fortfuhr: »Du hattest einen Herzstillstand.« Ein flüchtiges Lächeln glitt über sein Gesicht. »Die Ärzte sagen aber, du wirst wieder.«
    Die andere Seite. Nathaniel. Shane. Oh Gott, Shane.
    »Sh-sh-nnn?«, quetschte ich hervor. Verflucht. Ich versuchte es gleich noch einmal. »Sh-Shane?«
    Ein Schatten legte sich auf Teds Gesicht und sanft berührte er mich an der Schulter. »Später, Amber. Erst mal musst du dich erholen.«
    Ich versuchte den Kopf zu schütteln, aber das ging noch nicht. »N-nein. Shane? Was … was ist … mit Shane?«
    Ted schluckte noch einmal, dann deutete er seinerseits ein Kopfschütteln an. »Seine Kopfverletzungen waren zu schwer. Es tut mir so leid, Amber.«
    Shane. Nathaniel. Meine Augen füllten sich mit Tränen und ich schluchzte auf. Ted zögerte, dann stand er auf, hockte sich auf die Bettkante und beugte sich über mich. Ganz, ganz vorsichtig und darum bemüht, nicht an meinen Gipsarm zu kommen, nahm er mich bei den Schultern und zog mich an sich.
    »Ich bin ja da, mein Mädchen«, murmelte er, während ich mich an ihn lehnte und bei ihm ausweinte und er mir dabei über die Haare strich. »Ich bin ja da.«
    Kein Wird doch alles wieder gut. Kein Morgen oder in einem Jahr sieht alles schon wieder ganz anders aus . Einfach nur: Ich bin da , und das war alles, was ich brauchte.
    Ted! , wollte ich kläglich rufen, aber es klang ganz anders, als es aus meinem Mund kam. »Dad.« Ich konnte nicht aufhören, es unter Schluchzern zu wiederholen. »Dad. Dad. Daddy.«
    Und es fühlte sich absolut richtig an.

Vier Monate später
    In drei Worten kann ich alles zusammenfassen,
    was ich über das Leben gelernt habe: Es geht weiter.
    ROBERT FROST

Aufmerksam sah mir Dr. Katz über ihr Klemmbrett hinweg zu, wie ich ein weiteres Tuch aus der Kleenexbox rupfte, mir damit über die Augen wischte und dann hineintrompetete, bevor ich es in den Papierkorb warf, der jetzt immer schon neben meinem blauen Sessel stand, wenn ich zu ihr kam. Unmengen Kleenex verbrauchte ich inzwischen bei ihr; nachdem ich früher nie geweint hatte, schien ich jetzt nicht mehr damit aufhören zu können.
    »Wie war es für dich, Shanes Eltern davon zu erzählen?«
    Mrs Diggs, die nach wie vor darauf bestand, dass ich sie Tasha nannte, hatte mich mehrmals im Krankenhaus besucht; voller Trauer, aber gefasst hatte sie dabei jedes Mal gewirkt, und sie schien sich mehr um mich zu sorgen, als mir vorzuwerfen, dass ihr Sohn nicht mehr lebte. Weil ich es war, die Shane von der Straße zurückzureißen versucht hatte und die er schließlich mit seinem muskulösen Körper vor den schlimmsten Verletzungen bewahrt hatte. Ein tragischer Unfall, so sah sie es, genau wie die Polizei es in ihrem Bericht festgehalten hatte, eine schicksalhafte Kombination aus Wetterlage und einer Verkettung unglücklicher Umstände.
    Seine Beerdigung hatte ich verpasst, weil ich da noch auf der Intensivstation gelegen hatte. Was ich einerseits bedauerte, andererseits war ich auch froh drum; ich wusste nicht, wie ich das hätte überstehen sollen. Es war schon schlimm genug, jetzt, mit einigem zeitlichen Abstand, in der Schule angegafft zu werden; ich, das Mädchen, dem Shane-der-Held das Leben gerettet und sein eigenes dafür geopfert hatte. Aber nachdem ich es inzwischen geschafft hatte, zweimal auf den Friedhof zu gehen und Blumen auf sein Grab zu legen, und ich mich körperlich (und nach Ansicht von Dr. Katz auch seelisch) dazu in der Lage fühlte, hatte ich gestern Shanes Familie besucht.
    »Schlimm war es«, erwiderte ich und zupfte ein neues Kleenex aus der Box. »Ich fühle mich nach wie vor schuldig, dass ich mich nicht von der
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