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In den Städten, in den Tempeln

In den Städten, in den Tempeln

Titel: In den Städten, in den Tempeln
Autoren: Andreas Horst & Brandhorst Pukallus
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Direktoren und Sekretäre von irdischen Denkfabriken. Alles honorige Personen, die zu den Bevorzugten gehörten und das Leben in den Tiefstädten nie kennengelernt oder – wie er – hinter sich gelassen hatten.
    Und doch mußte einer von ihnen in seine Kabine eingebrochen sein und sie durchsucht haben.
    Die Luke in der Trennwand ganz vorn öffnete sich. Der Copilot trat in den Passagierbereich und nahm auf einem erhöhten Sitz Platz. Die ungewöhnliche Blässe des jungen Mannes wies ihn als Venusier aus. Clay achtete nicht auf die Begrüßung und die anschließenden Worte. Er hörte nur mit halbem Ohr den Ausführungen zu und studierte seine Mitreisenden. Einer von ihnen mußte es gewesen sein, denn ein Zwischendeckspassagier konnte unmöglich die Schwellenbarriere zum Oberdeck überwinden. Erst Enrico Silverstone, dann das Interesse an seiner Kabine. Wer wußte überhaupt, daß sich der Comptroller Claybourne S. Dalmistro auf den Weg zur Venus gemacht hatte, um dort – angeblich – das Finanzgebaren der Seligen Sphäre der ESPer-Energeten unter die Lupe zu nehmen? Shereen hatte diese Reise vor ihm hinter sich gebracht, wahrscheinlich sogar im Zwischendeck, angeworben von einem der Energetenjünger auf der Erde. War das der Grund? Vielleicht nur der Name Dalmistro?
    »... besteht die Atmosphäre der Venus zu sechsundneunzig Prozent aus Kohlendioxyd«, verkündete der Copilot mit bedeutungsschwangerer Stimme. »Der Rest setzt sich aus Stickstoff und Spuren einiger anderer Elemente zusammen, wie auch Wasserdampf ...«
    Wer? dachte Clay. Und warum?
    »... vollständig mit Wolken bedeckt, die zusammenhängende Schichten in Höhen zwischen fünfundvierzig und sechzig Kilometern bilden. Die Winde werden von einer Ost-West-Zirkulation beherrscht, die in der Höhe der obersten Wolkenschicht eine Geschwindigkeit von einhundert Metern pro Sekunde erreicht.« Der Venusier nickte bestätigend, als einige überraschte Bemerkungen laut wurden. »Der Planet rotiert von Ost nach West, wobei er sehr viel langsamer ist als seine Atmosphäre, denn eine Umdrehung dauert ganze zweihundertdreiundvierzig irdische Tage ...«
    Ich habe nur noch wenig Zeit, dachte Clay. Ashton Neunzehner wird bereits ungeduldig. Und offenbar ist das mit seiner Superpotenz und genetischen Reinheit eine heiklere Sache, als es den Anschein hatte. Shereen, Shereen! Was geht nur in dir vor? Dir stand das Tor zu einem Leben offen, von dem neunundneunzig Prozent der Menschheit nur träumen können. Genreinheit, vollmedizinische Versorgung, Kinder, die es sogar noch besser haben werden, Glück, ja ...
    Clay schüttelte den Kopf. Nein, er würde auf keinen Fall zulassen, daß seine Tochter ihre Zukunft fortwarf, um nichts in der Welt.
    »... beträgt die Oberflächentemperatur rund vierhundertsechzig Grad. Aus diesem Grunde konnten die Siedlungen natürlich nicht auf der Venus errichtet werden. Die Kolonien entstanden vielmehr in den weitverzweigten natürlichen Hohlräumen und Kavernensystemen unter der Oberfläche ...«
    Die Passagiere verloren allmählich das Interesse an dem eher wissenschaftlich und weniger populär orientierten Vortrag des Copiloten. Die Fähre tauchte kurz darauf in die dichte Venusatmosphäre ein, und das Summen des abgeschirmten Antriebs wurde übertönt vom Sirren der Stabilisatoren, die mit Sturmböen von bis zu fünfhundert Stundenkilometern fertig werden mußten. Eine sonderbare Unruhe erfaßte den Comptroller. Er rechnete nicht damit, daß er Schwierigkeiten haben würde, vom sogenannten Sozialkoordinator der Venus-Kolonie, Yama Jambavat, volle Handlungsfreiheit für seine Nachforschungen zu erhalten. Aber die beiden Vorfälle an Bord des Liners machten deutlich, daß er nicht die Anonymität besaß, die er sich eigentlich erhoffte. Gab es irgendeinen Punkt, den er übersehen hatte? Ein junges Mädchen, das der Erde den Rücken kehrte und ihr Heil auf der Venus suchte – ein alltäglicher Vorfall eigentlich, wenn es sich nicht gerade um seine eigene Tochter gehandelt hätte. Ein familiäres Problem, das für ihn von großer Bedeutung sein mochte, aber das war auch schon alles. Oder?
    Clay vernahm Begriffe wie ›Hadley-Zirkulation‹, ›Ost-West-Superrotation‹, ›Kyrossphäre‹, ›Föderatus‹, ›Baba-Jaga‹ und ›piezopsionisches Ferroplasma‹, und das Shuttle sank der Oberfläche entgegen, tauchte in den stählernen Trichter eines Hangarschachtes ein und summte, den Stürmen und Orkanen entrissen, den Tiefen einer Welt
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