Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
In den Klauen des Tigers

In den Klauen des Tigers

Titel: In den Klauen des Tigers
Autoren: Stefan Wolf
Vom Netzwerk:
der Luft.
    Als sie langsam näher fuhren, war
nichts zu hören als das Knirschen der Reifen im Sand und Klößchens japsender
Atem.
    „Richtig gespenstig!“ sagte Karl.
    Auch Klößchen empfand das so. Aber dann
wandte sein Sinn sich Praktischem zu.
    „Fehlte nur“, meinte er, „die Viecher
sind längst weg. Dann aber nichts wie zurück. Damit wir das Spanferkel...“
    Weiter kam er nicht.
    Eine Stimme wie aus einer anderen Welt
fegte die Stille weg: ein zorniges, röhrendes, durch Mark und Knorpel
dringendes Brüllen. Es hallte noch in den Ohren, als das Raubtier längst alle
Luft aus seinem mächtigen Brustkorb gestoßen hatte und wieder schwieg.
    Klößchen wäre fast vom Rad gefallen.
    „Hoffentlich ist der Löwe im Käfig“,
flüsterte er schreckensbleich.
    „Ich glaube, das war kein Löwe“, meinte
Tarzan, nicht minder beeindruckt. „So brüllt nur ein Königstiger.“
    „Stimmt!“ nickte Karl. „Habe ich im Zoo
gehört.“
    „Ist doch völlig wurscht!“ rief
Klößchen. „Da beißt der eine wie der andere. Wir müssen vorsichtig sein.“
    „Nun beruhige dich mal“, lachte Tarzan.
„Das Kätzchen ist bestimmt hinter Gittern. Was denn auch sonst! Ein Königstiger
frei herumlaufend — das wäre nicht auszudenken. Das Gebrüll kam aus dem Stall.
Sicherlich sind dort die Raubtierkäfige untergebracht.“
    Sie hatten jetzt die Scheune erreicht
und hielten an.
    Tarzan wollte nach dem Spanferkel
greifen. Aber eine Bewegung lenkte ihn ab. Im Schatten hinter dem halb geöffneten
Scheunentor stand jemand. Tärzan wandte den Kopf.
    Es war ein Mann. Er hatte die Beine
gespreizt, um fester zu stehen, schwankte etwas und hielt den Kopf schief. Die
linke Hand umklammerte eine Flasche, die noch halb gefüllt war mit
bernsteinfarbener Flüssigkeit — Schnaps, offenbar.

    „Guten Tag!“ sagte Tarzan. „Sind Sie
der Zirkusdirektor Zeisig?“
    „Häh?“
    Der Mann kam zwei Schritte heran,
stützte sich dann gegen den Torpfosten.
    Total betrunken, stellte Tarzan fest.
Mit so einem als Direktor hatte der Zirkus natürlich keine Chance. Oder
betrinkt der Kerl sich aus Kummer?
    Er war groß, der Mann, und in jungen
Jahren sicherlich imponierend gewesen. Jetzt hatte er sich in ein
verschwommenes Abziehbild seiner selbst verwandelt: ausgemergelt, müde,
schlaff.
    Schwarzes Haar hing strähnig über die
Ohren. Furchen gruben sich in das Gesicht. Unter den schwarzen Augen quollen
Tränensäcke. Die große Nase war rot geädert, womit eine gewisse Sorte von Trinkern
sich der Umwelt verrät. Ein schwarzer Mongolenbart umrahmte das eckige Kinn.
Gekleidet war er nachlässig. Er roch nach Stall und nach Schnaps.
    „Ich fragte, ob Sie Direktor Zeisig
sind“, sagte Tarzan geduldig.
    „Was? Ich?“ schnappte der Betrunkene. „Sehe
ich denn aus wie der Alte?“
    Mit dem ist nichts anzufangen, dachte
Tarzan. Aber wenn der hier die Aufsicht hat, dann — Himmel! — wäre Willis
Befürchtung wegen der Raubtiere gar nicht so abwegig. Betrunken wie der ist,
vergißt er doch glatt, die Käfige zu schließen und...
    Sein Gedankenfluß wurde unterbrochen.
    Vom Wohnhaus her rief jemand: „Hallo,
ihr da!“

2. Leckerbissen für den Tiger
     
    Das könnte Zeisig sein. Tarzan hatte
sich umgedreht.
    Ein schmächtiger, zart aussehender Mann
war aus dem Bauernhaus getreten. Er mochte älter sein als der Betrunkene,
wirkte aber nicht halb so verbraucht. Sorgen hatten das sensible (feinfühlig) Gesicht geprägt. Es war glatt rasiert, sein Haar grau, die Miene freundlich.
Auf die schmalen Schultern schienen unsichtbare Zentnerlasten zu drücken.
    Tarzan hörte, wie der Betrunkene hinter
ihm ausspuckte, schob dann sein Rad zu dem Schmächtigen hinüber, gefolgt von
seinen Freunden.
    „Guten Tag. Wir wollen zu Direktor
Zeisig.“
    „Das bin ich.“
    Tarzan stellte sich und seine Freunde
vor.
    „Wir wissen aus der Zeitung, wie es dem
Zirkus Belloni ergangen ist, Herr Zeisig, und dachten uns... Nun, wir verfügen
über keine großen Mittel, haben aber eine kleine Futterspende mitgebracht. Fünf
Kilo frische Möhren und für die Raubtiere ein ganzes Spanferkel.“
    Zeisig lächelte. Dann gab er jedem die
Hand.
    „Das ist nett von euch, Jungs. Die
Spende nehme ich gern an“.
    „Ein ganzes Spanferkel. Sowas Tolles
hat Napur noch nie gefressen. Da wird er bestimmt zum Feinschmecker. Was die
Raubtiere betrifft, Jungs, da macht ihr euch leider falsche Vorstellungen. Der
Zirkus Belloni hat nur ein einziges gehabt: einen prächtigen
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher