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In den Klauen des Tigers

In den Klauen des Tigers

Titel: In den Klauen des Tigers
Autoren: Stefan Wolf
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Königstiger.
Napur. Vor Jahren gab’s auch noch eine Tigerin. Aber die starb an
Altersschwäche. Napur ist in der Blüte seiner Jahre. Eigentlich ein Jammer, daß
er nun im Zoo endet.“
    „Im Zoo?“ fragte Tarzan.
    Zeisig nickte. Er sah an den Jungen
vorbei zur Scheune. Besorgnis schien in seinen Augen aufzuflackern, als er den
Betrunkenen beobachtete.
    „Aber wollt ihr nicht reinkommen“,
sagte er gastfreundlich. „Ihr seht erhitzt aus. Ich habe Cola für euch.“
    Gern nahmen sie die Einladung an. Doch
Tarzan entging nicht, daß Zeisig damit noch etwas anderes beabsichtigte:
Offenbar sollte der Betrunkene nicht mithören.
    Sie stellten ihre Tretmühlen an die Hauswand.
Tarzan nahm das noch gut gekühlte Spanferkel unter den Arm. Klößchen brachte
die Mohrrüben.
    Zeisig führte seinen Besuch in einen
Raum mit niedriger Decke. Der Versuch, ihn wohnlich einzurichten, war
gescheitert. Immerhin gab’s einen Tisch, wacklige Stühle, Regale, wo einige
Lebensmittel lagerten, und ein Feldbett.
    Zeisig schenkte Cola für alle ein, wog
das Spanferkel in den Händen, schätzte es auf mindestens 30 Pfund Gewicht und
bedankte sich herzlich.
    Mit schmerzlichem Lächeln sagte er: „Als
Zirkusdirektor bin ich am Ende meiner Karriere angelangt — nach immerhin 26
Jahren. Aber die Umstände haben sich verschworen gegen Familienunternehmen
unserer Art. Die Zeit ist nicht mehr danach. Nur ein ganz großer Zirkus mit
wirklichen Sensationen und Attraktionen (Zugnummer) kann überleben. Zu
uns kommt man im Zeitalter des Fernsehens nicht mehr. Kein Publikum, keine
Einnahmen — und das Ende sieht aus wie hier.“
    „Tut uns leid“, sagte Tarzan. „In der
Zeitung war nur ganz allgemein von Ihren Tieren die Rede. Wieviele haben Sie?
Und was wird aus ihnen?“
    „Übriggeblieben sind sechs Ponys, vier
Schimpansen, ein Lama, ein Dromedar und Napur, der Tiger. Für alle ist — Gott
sei Dank! — gesorgt. Der hiesige Zoo übernimmt sie, kauft sie uns sogar ab.
Morgen werden die Tiere abgeholt. Alle. Es wird mir ins Herz schneiden. Aber
ich kann nichts mehr für sie tun.“
    „Unser Zoo“, sagte Karl, „gilt in der
ganzen Welt als vorbildlich. Ihre Tiere werden es gut haben.“
    Zeisig nickte.
    Tarzan hatte es auf der Zunge, danach
zu fragen, was aus der Zirkusfamilie werde. Aber das war wohl doch etwas
indiskret (taktlos), und er getraute sich nicht.
    Doch Zeisig gehörte zu jenen
vertrauensseligen Menschen, die keinen Argwohn kennen und immer das Herz auf
der Zunge haben. Er hielt es für selbstverständlich, seinen jungen Zuhörern die
persönlichsten Dinge zu erzählen. Daß er eine tüchtige Frau und drei Kinder
habe. Daß die Kinder volljährig seien und die Familie in der Stadt eine Wohnung
gefunden hätte. Man wolle hier bleiben, endlich seßhaft werden. Das wäre zwar
eine große Umstellung, aber für die Kinder das beste.
    „Robert und Nino, meine Söhne“,
erklärte er, „haben Arbeit gefunden. Im Zoo. Als Tierpfleger. Davon, weiß Gott,
verstehen sie was. Ich weiß, sie werden ihre Arbeit gut machen. Meine Frau
arbeitet seit voriger Woche in einem Büro. Leni, meine Tochter, will
Kinderschwester werden und bemüht sich um einen Ausbildungsplatz. Ich mußte
bislang noch hier bleiben, um auf die Tiere zu achten. Aber“, er lächelte, „demnächst
übernehme ich eine Handelsvertretung. Für Tierfutter. Für Hunde- und
Katzenfutter. Ihr seht, der Schuster bleibt zumindest in der Nähe seiner
Leisten.“
    „Ob wohl auch Spanferkel zu Ihrem
Sortiment (Warenauswahl) gehören werden?“ scherzte Tarzan.
    „Bestimmt nicht“, lachte Zeisig.
    „Und der... äh... Herr da?“ Tarzan wies
mit dem Daumen über die Schulter zum Fenster. „Ist auch seine Zukunft schon
gesichert?“
    Ein Schatten schien sich über Zeisigs
Gesicht zu legen.
    „Das ist Carlo Tomasino“, sagte er. „Er
heißt tatsächlich so. Er ist Dompteur. Früher war er eine Weltsensation. Dann...hm...
jedenfalls, es ging abwärts mit ihm. Und vor drei Jahren kam er zu mir. Napur
gehört ihm.“
    „Ach“. Tarzan wunderte sich. „Und er
willigt ein, daß der Tiger in den Zoo kommt? Was ja gut ist“, fügte er rasch
hinzu.
    „Er... also, Carlo kann nichts mehr
bestimmen. Er ist sozusagen entmündigt.“
    „Deshalb?“ Tarzan machte eine Bewegung,
als trinke er aus einer Flasche.
    Zeisig nickte. „Carlo ist Alkoholiker,
Trinker, nur noch selten nüchtern. Seine Karriere endet in einer
Entziehungsanstalt. Auch für ihn ist heute der letzte Tag, wo
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