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In den Klauen des Tigers

In den Klauen des Tigers

Titel: In den Klauen des Tigers
Autoren: Stefan Wolf
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rangehen!“ warnte Zeisig.
„Wenn er blitzschnell durchs Gitter langt, ist der Prankenhieb tödlich.“
    „Ein herrliches Tier!“ sagte Tarzan. „Und
riesenhaft. Ich wußte gar nicht, daß Tiger so groß werden können. Die im Zoo
sind kleiner.“
    „Da hast du recht!“ nickte Zeisig. „Napur
ist ein besonders schönes Exemplar. Wir haben ihn lange nicht gewogen. Aber er
ist schon ein gewaltiger Kerl.“
    „Trotzdem wirkt er geschmeidig“, meinte
Karl. „Er hat mächtige Muskeln unter dem Fell.“
    Die Grundfarbe war gelbbraun, aber
schwarze Streifen zogen sich vom Kopf bis zur Schwanzspitze.
    „Jetzt geben wir ihm das Spanferkel“,
sagte Zeisig.
    Er griff nach einer Eisenstange, die
sich vorn gabelte, und spießte das — von seiner Frischhaltehülle befreite — Spanferkel
auf.
    Napur ließ ein erwartungsvolles Knurren
hören. Es klang ein bißchen erstaunt. Auch ohne Uhr schien er zu wissen, daß
noch nicht Fütterungszeit war. Aber seine phosphoreszierenden (im Dunkel
nachleuchten) Augen ließen keinen Blick von dem Leckerbissen.
    „Wer will’s ihm servieren?“ fragte
Zeisig.
    „Danke, nein!“ lehnte Klößchen ab. „Napur
bringt es fertig und zieht mich an der Eisenstange durchs Gitter — wenn ich
nicht rechtzeitig loslasse.“
    Auch Karl verzichtete. Tarzan hatte
sich zurückgehalten. Aber jetzt nahm er die Eisenstange. Unter dem Gitter war
an einer Stelle genügend Abstand zum Käfigboden, um dem Tiger Fleischbrocken
durchzuschieben.
    Er schien hungrig zu sein, bäumte sich
plötzlich auf, sprang zur Futterluke und schlug wild mit den Pranken. Ein
heiseres Geifern drang aus dem aufgerissenen Rachen. Mächtige Fangzähne
schimmerten. Eine kalte Gänsehaut überzog Tarzans Rücken, als er das Spanferkel
mit der Eisenstange durch den Gitterspalt zwängte.
    Mit einer Tatze riß Napur es weg. Als
wäre es Beute, schlug er die Zähne hinein. Knochen krachten. Dann hörte man ihn
schmatzen und schlingen. Im Handumdrehen war nichts mehr übrig.
    „Ich glaube, zum Raubtierdompteur wäre
ich nicht geeignet“, ließ Klößchen sich kleinlaut vernehmen. „Selbst jetzt ist
es beängstigend, ihm zuzusehen. Herr Tomasino hat Mut.“
     „Er hat Napur als winziges Kätzchen
bekommen und buchstäblich mit der Flasche groß gezogen“, erklärte Zeisig.
    Sie beobachteten Napur noch einen
Moment und verließen dann den Stall. Zeisig wollte die Jungs mit seiner Tochter
bekanntmachen.
    „Leni ist sicherlich in der Scheune“,
meinte er, „um für die Ponys Hafer abzufüllen.“
    Fliegen schwirrten. Klößchen wischte
sich Schweiß von der Stirn. Verstohlen holte er ein Stück halbaufgeweichter
Schokolade aus der Tasche und schob es sich rasch in den Mund.
    Karl polierte nachdenklich seine
Brillengläser. Sein vergeistigter Blick schien nach innen gerichtet — auf sein
Computergedächtnis, wo sicherlich viel Wissenswertes über Tiger gespeichert
war.
    Hoffentlich verschont er uns damit,
dachte Tarzan amüsiert. Das hat Zeit bis zum Heimweg. Dann kann er meinetwegen
loslegen. Jetzt bin ich erstmal gespannt auf Fräulein Leni. Gäbe es den Zirkus
Belloni noch, wäre sie immerhin eine Zirkusprinzessin.
    Sie näherten sich der Scheune, kamen an
den Autos vorbei, und Zeisig sagte gerade, daß der Mercedes Tomasino gehöre und
der Chevrolet ihm selbst. In diesem Moment hörten sie den Schrei. Eine
Frauenstimme schrie. Es kam aus der Scheune.
    „...Hilfe!... Um Himmels willen! Er...“
    Das andere erstickte.
    „Leni!“ brüllte Zeisig.
    Er sprang vorwärts. Gefolgt von den
Jungs, rannte er zum Eingang der Scheune.
    Durchzwängen mußten sie sich. Bis auf
einen schmalen Spalt war das Tor jetzt geschlossen.
    Tarzan war hinter Zeisig der zweite,
und er sah gerade noch, was sich abspielte.
    Tomasino drehte durch. Blut drängte in
sein verwüstetes Gesicht. Tomatenrot war es und aufgeblasen wie ein Ballon.
    Mit beiden Armen hielt er ein Mädchen
umklammert. Leni mochte 18 oder 19 sein. Langes dunkles Haar floß ihr über die
Schultern. Sie war zart, etwas sommersprossig und auf grazile Weise hübsch.
    Daß Tomasino sie küssen wollte — und
zwar mit Gewalt, war offensichtlich. Um sie am Schreien zu hindern, preßte er
ihren Mund auf seine Schulter.
    Aber jetzt bemerkte er die Störung,
ließ Leni los und wandte sich Zeisig zu. Trotz seiner Trunkenheit bewegte sich
der Dompteur sicher und schnell. Zeisigs Faustschlag wehrte er ab. Dann traf
Tomasino den Zirkusdirektor hart im Gesicht. Zeisig stürzte zu
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