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In den Klauen des Tigers

In den Klauen des Tigers

Titel: In den Klauen des Tigers
Autoren: Stefan Wolf
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er tun und lassen
kann, wie er’s sich denkt. Ich hoffe, er ist noch zu retten. Denn wenn er so
weitermacht, gebe ich ihm nicht mehr lange. Nicht nur, daß er sich selbst zerrüttet
— er ist auch eine Gefahr für seine Umwelt.“
    „Wieso?“
    „Er ist gefährlich. Gewalttätig. Er
bildet sich ein, alle wären gegen ihn.“
    „Schlimm.“
    „Der Alkohol hat sein Gehirn kaputt
gemacht. Er leidet unter Wahnvorstellungen. Er sieht Dinge, die überhaupt nicht
existieren.“
    „Wir“, sagte Tarzan, „lehnen Alkohol
ab. Wir rauchen auch nicht.“
    „Aber ich esse Schokolade“, meldete
Klößchen sich zu Wort. „Manchmal etwas zuviel. Deshalb hacken alle auf mir rum.
Wahnvorstellungen hatte ich allerdings noch nie, obwohl ja Schokolade als
Genußmittel gilt.“
    „Aber sie ist keine Droge“, lächelte
Zeisig. Dann hob er lauschend den Kopf.
    Auch die Jungs hörten, daß ein Auto
sich näherte. Nach dem Säuseln des Motors zu urteilen, handelte es sich um eine
Chaussee-Wanze kleinsten Formats.
    „Meine Tochter Leni“, sagte Zeisig. „Sie
hängt so an den Tieren, daß sie jeden Tag herkommt. Besonders der Abschied von
ihrem Lieblingspony wird schwer fallen. Ich glaube, sie wird Stammgast im Zoo
werden.“
    Die Jungs wandten sich zum Fenster. Aber
der Wagen war schon hinter der Scheune verschwunden, das Motorengeräusch
verstummt.
    „Zeigen Sie uns die Tiere?“ fragte
Tarzan.
    „Selbstverständlich. Gern.“
    „Napur ist doch... im Käfig?“
erkundigte sich Klößchen.
    „Dort ist er immer“, nickte Zeisig. „Sein
Leben hat sich in seinem fahrbaren Käfig abgespielt. Oder im Käfig der Manege.
Was anderes kennt er gar nicht. Den Manegenkäfig, das Zelt, die Wohnwagen — das
ist alles verkauft. Damit hat sich Napurs Lebensraum noch mehr eingeengt. Aber
ab morgen wird das besser — wenn er sich im Freigehege des Zoos tummeln kann.“
Er sah zur Uhr. „Es ist zwar noch etwas früh. Aber euch zuliebe verlege ich die
Fütterung vor. Wollen wir doch mal sehen, wie ihm das Spanferkel schmeckt.“
    Als sie hinausgingen, sagte Tarzan. „Ist
es Carlo eigentlich recht, daß er in die Entziehungsanstalt kommt?“
    „Nein. Leider nicht. Er rebelliert (sich
auflehnen) dagegen. Er ist uneinsichtig. Er begreift nicht, daß es zu
seinem Besten geschieht und — vielleicht — seine einzige Rettung ist.“
    Um so erstaunlicher, dachte Tarzan, daß
er nicht die Kurve kratzt. Wer würde sich denn ein Bein ausreißen, um ihn zu
finden? Niemand. Weshalb bleibt er dann? Wegen Napur? Hängt er an seinem Tiger?
Will er bis zur letzten Minute mit ihm zusammenbleiben? Traurig, traurig! Ist
ein abstoßender Kerl, dieser Carlo. Trotzdem tut er mir leid.
    Der Platz vor dem Wohnhaus brütete in
der Sonne.
    Sie gingen zu den Ställen.
    Tarzan trug das Spanferkel, das sich
nicht mehr tiefgefroren, sondern mundgerecht anfühlte — jedenfalls für ein
Raubtier mit unempfindlichen Zähnen.
    Klößchen hatte die Mohrrüben, mit denen
er die Ponys füttern wollte.
    Carlo war nicht zu sehen. Neben den
beiden Autos stand jetzt ein drittes — ein ältlicher Kleinwagen, an dem der
Rost herzhaft nagte.
    Zeisig führte die Jungs in den großen
Stall. Vormals hatten hier Kühe wiedergekäut. Jetzt machten sich hübsche Ponys
über Heu und Hafer her.
    Klößchen ergänzte ihre Nahrung mit
Mohrrüben.
    Nebenan standen das Lama und das
Dromedar. Sie glotzten recht einfältig.
    „Die Schimpansen kann ich euch leider
nicht zeigen“, sagte Zeisig. „Die sind in einem Tierheim unter gebracht.“
    Er führte die Jungs wieder ins Freie
und ging auf das zweite Stallgebäude zu. Die Tür stand offen. Der
durchdringende Geruch, den sie vorhin schon gespürt hatten, wehte ihnen
entgegen: Ausdünstung des Tigers.
    Sein Käfig — lang wie ein mittlerer
Campingwagen, aber schmäler — stand im Halbdunkel. Die stabilen Gitterstäbe
glänzten wie poliert. Stroh raschelte. Es handelte sich um einen Käfigwagen,
den man — sobald der Zirkus weiterzog — an ein Fahrzeug angehängt hatte.
Freilich wurden dann die Gitterwände ringsum mit hölzernen Jalousien abgedeckt.
Sonst hätte Napur beim Anblick der anderen Verkehrsteilnehmer getobt. Und diese
wiederum wären durch ihn irritiert (verunsichert) gewesen.
    Grüngelbe Augen schillerten aus dem
Halbdunkel. Ein mächtiger Schädel, dunkel gestromt, preßte sich an die Stäbe.
Gewaltige Tatzen stemmten sich auf den Holzboden und scharrten im Stroh. Der
lange Schweif peitschte.

    „Nicht zu nah
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