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In den Fesseln des Wikingers

In den Fesseln des Wikingers

Titel: In den Fesseln des Wikingers
Autoren: Megan McFadden
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ein, stiegen über braune Felsbrocken und gefallene Stämme, die von Moos und Farnen bewachsen waren, vermieden sorgfältig, Äste abzuknicken und fanden endlich eine Lichtung, in der sie das Lager aufschlugen. Thore war hochzufrieden – schon morgen früh würde er Späher aussenden. Wenn seine Vermutungen richtig waren – und davon war er fest überzeugt –, dann würde der Vorteil dieses Mal auf seiner Seite sein, und Sigurd würde ihm ahnungslos in die Falle laufen.
    Er verbot den Männern, ein Feuer zu entzünden, damit der Rauch sie nicht verriet, stellte Wachen auf und sah eine Weile zu, wie seine Genossen leise miteinander redeten, sich Trockenfleisch und Käse teilten und dazu Wasser aus den mitgebrachten Schläuchen tranken. Die heute erbeuteten Silbergeräte machten die Runde, wurden betastet, in den Händen gewogen und auf ihren Wert eingeschätzt – zu Hause in Norwegen würde man sie einschmelzen, um schön gearbeitete Gürtelschnallen, Anhänger oder Fibeln daraus herstellen zu lassen. Als der junge Snorri davon redete, dem Mädchen, das er heiraten wollte, silberne Ohrgehänge zu schenken, grinste Thore abschätzig. Was ein Narr war derjenige, der die hart erkämpfte Beute einem Weib zu Füßen legte. Er würde sich weder Lohn noch Dank dabei erwerben. Er, Thore, tauschte seine Schätze meist gegen Schwertklingen aus Italien ein, die teuer, aber unübertrefflich waren. Auch erwarb er sich Dolche mit kostbar geschnitzten Griffen, und die Hütte, die er seit dem Tod der Eltern allein bewohnte, war voller Kerzen aus Bienenwachs, die er in den dunklen Tagen und Nächten anzündete, um die Erinnerung zu bannen.
    Als das leise Murmeln der Gefährten langsam verstummte, fielen auch Thore die Augen zu. Doch sein Schlaf war seltsam unruhig, ihm schien, als rausche ein gewaltiger Sturm über ihn hinweg, der die Bäume bis zum Boden hinabbeugte und ihre Zweige durchschüttelte. Dann wieder glaubte er, leise, lockende Töne zu vernehmen, zart wie der Klang von Harfensaiten, über die ein Zweiglein streicht, und er sah merkwürdige, weiße Schattenwesen, die in langer Reihe an ihm vorbeistrebten, ohne dass ihre Füße den Boden berührten.
    Mitten in der Nacht erwachte er von einer Berührung an seiner rechten Schulter, und er fuhr blitzschnell empor, um dem Angreifer zu begegnen. Doch im blassen Schein des Mondes war niemand zu sehen, und Halvdan, der die Wache hatte, versicherte ihm, dass kein lebendes Wesen das Lager betreten habe.
    Ich muss geträumt haben, dachte Thore beschämt und setzte sich nieder, denn an Schlaf war nicht mehr zu denken. Schweigend hockte er auf dem feuchten Waldboden und lauschte in die Nacht hinein. Das Holz der Bäume knarrte leise, Nachttiere raschelten im Laub, und das Moos auf den morschen Stämmen schien zu flüstern. Ein schwacher, weicher Ton erhob sich von weither, irrte durch die Äste, verging wieder und kehrte als lauer Luftzug zurück, der ihm das Haar von den Schläfen wehte und seine Stirn kühlte.
    „Es stimmt etwas nicht mit diesem Wald“, murmelte Halvdan beklommen. „Es sind Geister unterwegs, die uns nicht wohlgesonnen sind.“
    „Die Hauptsache ist, dass Sigurd und seine Leute hier nicht unterwegs sind“, gab Thore grinsend zurück und nahm sich ein Holzstück, um daran herumzuschnitzen. Doch er hielt es nicht lange aus, denn der seltsam lockende Klang erhob sich aufs Neue.
    Thore sog den Geruch des Waldes ein, der nach Feuchtigkeit und warmer Erde duftete, nach dem nächtlichen Atem der Pflanzen und der Süße sich öffnender Blüten. Es rauschte in seinen Ohren, und er verspürte eine ungeheure Lust, tiefer in den Wald einzudringen, um dem Geheimnis auf die Spur zu kommen.
    „Sei vorsichtig“, flüsterte Halvdan, als er sah, dass der Anführer sich erhob und seinen Dolch in den Gürtel steckte. „Das könnte das Werk einer Hexe sein.“
    Aber Thore lachte nur leise und geringschätzig – gegen Weiber und Hexen war er gefeit. Langsam stieg er durch das dichte Unterholz, kletterte über die bemoosten Stämme gefallener Baumriesen und bog die niedrigen Zweige beiseite, um bessere Sicht zu haben. Der Mond war so hell, dass sein Licht in matten, weißlichen Schleiern durch das Laub fiel und bizarre Schatten auf den Waldboden warf. Kleines Getier huschte vor Thores Schritten davon und verschwand raschelnd im dürren Vorjahreslaub, die gelben Augen einer Eule glommen auf, doch der nächtliche Jäger blieb reglos auf seinem Ast hocken.
    Immer weiter entfernte
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