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In Den Armen Der Finsternis

Titel: In Den Armen Der Finsternis
Autoren: Marjorie M. Liu
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steif und bebend, die Hand immer noch ausgestreckt. Jack beobachtete ihn, und dann drang ein leiser, grollender Laut aus seiner Brust, so ruhig wie Donner. Es war ein Knurren, das von einem Wolf hätte kommen können. Es erschütterte den archaischen Teil in mir, der menschlich war. Jack starrte den Erlkönig so hasserfüllt an, das ich um ihn fürchtete. Ich hatte niemals den Mann gesehen, der hinter Jacks Augen lebte, aber ich stellte mir vor, wie er anschwoll und die Grenzen seiner Haut dehnte.
    »Jack«, flüsterte ich.
    »Ich sehe es!«, stieß er gepresst hervor. »Eine Falte im Raum, wie jene, die diesen Ort verbirgt.«
    Mr. Koenig verengte seine Augen. »Du wirst ihn mir nicht wegnehmen. Ich werde sowohl den Lichtbringer als auch seine Mörderin verwandeln, bevor du das schaffst. Ich werde sie dabei so sehr verändern, dass es deine Vorstellungskraft sprengt und du sie für Monster hältst.«
    »Du lügst«, flüsterte Jack, aber Mr. Koenig ignorierte ihn. Stattdessen starrte er mich mit einer eisigen Entschlossenheit an. Ob er nun bluffte oder nicht, die Furcht, die mich durchdrang, war jedenfalls real. Ganz gleich wie schnell ich mich auch bewegte, ich hatte gesehen, was er Vater Lawrence angetan hatte, und zwar nur in wenigen Augenblicken. Grant wäre ein leichtes Ziel. Und Mary ebenso.
    Das hielt die alte Frau jedoch nicht davon ab, sich auf Mr. Koenig zu stürzen. Sie bewegte sich unglaublich schnell,
schwang die Enden der Kette, die immer noch an den Fesseln ihrer Handgelenke hingen. Der Stahl zischte wie kurze Peitschen durch die Luft, und die Enden der zerbrochenen Kettenglieder trafen hart auf Mr. Koenigs Augen. Er zeigte keinen Schmerz, weil er keine Nerven in seinem Körper hatte und nichts fühlen konnte. Und dennoch zuckte er zusammen. Es war nur eine kleine Ablenkung. In diesem Augenblick stieß Jack ein scharfes Wort in einer Sprache aus, die ich nicht verstand. Mr. Koenig zuckte krampfhaft nach vorn und umklammerte seinen Bauch. Seine Augen waren vor Überraschung weit aufgerissen.
    Jack machte mit seiner rechten Hand eine reißende Bewegung, und ein Schatten hob sich wie ein Vorhang vor der Wand. Eine steinerne Plattform tauchte dahinter auf, die von Eis überzogen war.
    Mr. Koenig stöhnte und bog seine Schwingen nach hinten. Funken stoben von seinen Schultern, gefolgt von einer einzelnen, strahlend hellen Lichtwolke, die wie die Aura eines Dämons aussah, nur golden und blass. Sie schwebte über ihm und schien sich heftig gegen ein Band zu wehren, das ich nicht sehen konnte. Jack hielt seine Hände ausgestreckt, die Finger wie Klauen gekrümmt. Sein zerbrechlicher Körper strahlte eine ungeheure Hitze aus und seine blauen Augen waren so hell, dass sie zu glühen schienen.
    »Ich kann ihn nicht lange festhalten«, zischte Jack. Schweißperlen liefen ihm über die Stirn. »Befreie Grant. Er ist der Einzige, der ihn außerhalb seines Körpers töten kann.«
    Ich hatte mich bereits in Bewegung gesetzt. Jacks Worte jagten mich förmlich durch den Raum, als ich an Mr. Koenig vorbei auf den Eissarg zujagte. Die Jungs zerrten an meiner Haut. Mary war bereits da und schlug mit den Enden ihrer Ketten auf das Eis ein.

    Meine Hände glühten rot vor Hitze und das Schwert verschwand mit einem Lichtblitz wieder in der Rüstung. Ich erreichte den Eissarg, und Mary trat zurück, als ich meine Handflächen auf das Eis schlug, und zwar so wuchtig, dass es brach. Der Dampf blendete mich zwar, aber ich grub meine Nägel tief ins Eis und riss massive Stücke heraus. Mary half mir, riss ebenfalls mit den bloßen Händen an dem Eis und knurrte vor Schmerz, als ihre Nägel brachen.
    Schließlich waren wir durchgekommen. Grant lag regungslos da, die Augen geschlossen. Ich berührte sein Gesicht, doch er rührte sich nicht. Wie Killy schlief auch er zu tief.
    Jack sank keuchend auf die Knie. Mr. Koenigs Aura erbebte. Die Rüstung auf meiner Hand glühte vor Hitze, und in diesem Augenblick konnte ich die Zukunft erkennen, die sich vor mir ausbreitete. Ich sah, dass Mr. Koenig frei war. Ich sah Jack tot, wirklich tot. Und ich sah Grant versklavt. Haut wuchs über seinem Mund, so dass er nie wieder ein Geräusch ausstoßen konnte.
    Ich sah es so klar, so deutlich, dass ich wusste, es war die Wahrheit. In diesem Augenblick verlor ich vollkommen die Beherrschung. Ich gab mein Herz frei, und der Schatten in mir explodierte aus seinem Schlaf. Er zuckte so heftig unter meiner Haut auf, dass ich schon dachte, mein Körper
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