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In Den Armen Der Finsternis

Titel: In Den Armen Der Finsternis
Autoren: Marjorie M. Liu
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Mund. Und der Hunger, der plötzlich in mir aufblühte, war so mit meiner eigenen Wut durchmischt, dass ich nicht einmal erkennen konnte, ob sich der Schatten in meinem Herzen rührte. Obwohl ich es durchaus vermutete. Ich hatte den Eindruck, dass er sich unter meiner Haut ausstreckte und weich auseinanderrollte.
    »Ich werde nichts für Sie tun«, flüsterte ich.
    Verzweiflung überzog Mr. Koenigs Gesicht, und seine Schwingen schlugen heftig und mit solcher Kraft, dass ich zurückgestoßen wurde. Als ich ihn losließ, verschwand er.
    Jack ergriff mein rechtes Handgelenk, und ohne ein Wort zu sagen fielen wir in den Abgrund, um nur wenige Momente später in einem anderen, steinernen Gewölbe wieder aufzutauchen, das dem, das wir soeben verlassen hatten, sehr ähnlich
war. Es war ein kleiner, dunkler Raum, so kalt wie Eis. Ich konnte Grant nicht sehen, aber Mary saß auf dem Boden. Sie war nackt, und die Fesseln um ihre Handgelenke waren mit Ketten am Boden befestigt. Sie waren zu kurz, als dass sie hätte stehen können, und ihre Knie waren aufgescheuert und blutig. Eine Gesichtshälfte war blau-rot angeschwollen, doch in Marys Augen schimmerte eine wahnsinnige Klarheit, die hell strahlte, als sie mich sah.
    Eine Tätowierung überzog ihre Brust. Ich hatte die alte Frau niemals nackt gesehen, mich auch nie gefragt, was sie möglicherweise unter ihrer Kleidung verbarg. Doch über ihrem Brustbein war ein verschlungener Kreis aus blutigen Linien tätowiert. Die erkannte ich. Sie waren golden und glitzerten wie jene auf dem Medaillon, das plötzlich an Mr. Koenigs blasser Hand hing und schwang.
    »Sehen Sie, was ich gefunden habe«, flüsterte Mr. Koenig, während er Jack anstarrte. »Ich habe es am Lichtbringer gefunden. Und an der alten Frau, wo es aus ihren Knochen wuchs. Du weißt, was das aus ihr macht, Wolf. Du weißt, um was es sich bei ihr handelt. Und wenn sie mit dem Lichtbringer gekommen ist, dann weißt du auch, was er ist.«
    Jack starrte das Medaillon an und richtete den Blick danach auf Mary. Ein Schauer lief über seinen Körper. »Das spielt keine Rolle.«
    »Es spielt sehr wohl eine Rolle«, zischte Mr. Koenig und schlug mit seinen Schwingen. »Es ist wichtig für all die Leben, die diese Familie genommen - und auch für die Armee, die sie angeführt hat. Es ist bedeutsam, weil du derjenige warst, der entsendet wurde, um ihre Blutlinie auszulöschen. Du sagtest, du hättest es getan.«
    Jacks Kiefer mahlten. »Es war genug.«

    Mr. Koenig knurrte, und seine Finger legten sich fester um das Medaillon. Marys Ketten rasselten laut. Ich sah, wie sie versuchte, sich auf den Avatar zu stürzen. Sie zog so fest an den Ketten, dass ihre Handgelenke unter den Fesseln bluteten.
    »Grants Frau!«, schrie mich Mary an. Ihre Stimme drang mir bis ins Herz. Ihre Augen funkelten, und die goldene Tätowierung schimmerte zwischen ihren schlaffen, faltigen Brüsten wie eine Art Rüstung. Das Schwert in meiner Hand glühte, und Zee riss an meinem Körper.
    Ich lief zu Mary hin. Mr. Koenig schrie auf, aber er kam zu spät, um mich aufhalten zu können, als ich die Klinge schwang und die Ketten durchtrennte, die die alte Frau banden. Mary warf den Kopf zurück, fletschte ihre Zähne und packte meinen Arm. Mr. Koenig stand hinter ihr, streckte die Hand aus und erwiderte ihren Blick mit glühenden Augen. Jack stieß ein einzelnes, scharfes Wort aus.
    »Still, da im Schatten«, zischte Mary. »Finde seine Stimme.«
    Ich drückte das Schwert an meine Brust, blickte in ihre wilden Augen, und meine Jungs zitterten in ihren Träumen. Grant, dachte ich, und schien bei seinem Namen in Flammen aufzugehen. Grant.
    Fast hatte ich erwartet, rücklings in den Abgrund zu stürzen, aber die Welt um mich herum blieb, wie sie war. Dennoch verschwamm mir alles vor den Augen, und ich sah in meinem Kopf einen dunklen Ort, ein kaltes Grab. Darin lag wie schlafend in einem Sarg aus Eis ein Mann.
    Mein Mann.
    Er schien mir nah zu sein. So nah, wie das Sonnenlicht, das man warm auf seiner Haut fühlen mochte. Er war überall, umschloss mich auf allen Seiten. Ich gab mich dieser Empfindung hin, drehte mich langsam um mich selbst, versuchte die Quelle
des Gefühls zu finden, und spürte plötzlich auf der linken Seite ein Ziehen, eine Störung, ein Kribbeln, ein Kitzeln, das von den Jungs kam. Hinter Mr. Koenig.
    Doch ich sah nur Fels, formlos und glatt wie die innere Wand einer Berghöhle. Ich traute meinen Augen nicht. Mr. Koenig starrte uns an,
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