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in China

in China

Titel: in China
Autoren: Dorothy Gilman
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das wir heute morgen führen, wird nicht aufgenommen. Ich habe das Tonbandgerät hinausschaffen lassen. Wir sind also wirklich völlig ungestört.«
    »So?« sagte sie, doch sie glaubte ihm nicht.
    »Ja. Wissen Sie«, fuhr er fort, »ich habe das menschliche Wesen gründlich studiert, wenn Sie mir diese Unbescheidenheit verzeihen wollen, ich befasse mich seit vielen Jahren mit der menschlichen Natur. Vieles an Ihnen erinnert mich an meine erste Frau, die schon lange tot ist.«
    Mit so etwas hatte sie nicht gerechnet. Sie stammelte verschreckt: »Oh, das tut mir leid.«
    »Zur Zeit unserer Revolution«, fuhr er fort, »war sie der glühendste und gewissenhafteste Soldat, den man sich nur vorstellen konnte. Die Nationalisten haben sie mehrmals verhört und leider auch gefoltert. Ich bin mit ihr zusammen gefangengenommen worden und war bei zwei Verhören selbst dabei. Sie war eine kleine, zierliche Frau und sehr feminin. Sie hat eine Unschuld und Harmlosigkeit zur Schau getragen, die trog. Das hat ihr das Leben gerettet. Sie war wie ein Fels, an dem nicht zu rütteln war.« Er verneigte sich. »Es war direkt unheimlich, diese gespielte Harmlosigkeit, die in Wahrheit Stärke war, auch bei Ihnen festzustellen. Eine hervorragende Methode. Meine Frau ist auch standhaft geblieben, wenn sie gefoltert wurde.
    Ich bin sicher, daß Sie das ebenfalls durchhalten würden.«
    Mrs. Pollifax saß mucksmäuschenstill da und hielt den Atem an. Sie hatte sich nicht getäuscht. Dieser Mann war gefährlich.
    »Sie müssen wissen, daß wir den Leichnam von Mr. Forbes obduziert haben«, erzählte er ganz beiläufig. »Dabei hat sich herausgestellt, daß er keineswegs durch den Messerstich getötet worden ist, wie wir ursprünglich vermutet hatten, sondern durch einen scharfen Handkantenschlag gegen die Schläfe, einen so gut gezielten Schlag, daß der Tod auf der Stelle eingetreten sein muß.« Er beobachtete sie amüsiert. »An einer sehr empfindlichen Stelle getroffen... Ich persönlich habe den Verdacht, daß irgend jemand am Tatort die Kunst des Karate beherrschte.«
    »Ach so«, hauchte Mrs. Pollifax. Ein eisiger Schreck durchfuhr sie.
    »Aber Sie sind ja ohnmächtig geworden, da können Sie das natürlich nicht wissen. Und gesehen haben Sie erst recht nichts«, betonte er.
    »Nein«, flüsterte sie.
    Er verneigte sich höflich. »Mrs. Pollifax, wir waren in den letzten beiden Tagen Gegner.
    Doch da wir zur gleichen Generation gehören, will ich Ihnen ganz offen sagen, welcher Versuchung ich fast erlegen wäre.«
    »Ja?« brachte sie mühsam hervor. Ihre Kehle wurde immer trockener.
    Er lächelte ironisch. »Ich hätte mich am liebsten von vorn mit Würgegriff auf Sie gestürzt oder Ihnen einen Schlag mit den mittleren Fingerknöcheln versetzt, nur um zu sehen, mit welchem Handkantenschlag Sie ganz instinktiv darauf reagieren würden, bevor Sie Zeit zum Nachdenken hatten.«
    Ja, er war zweifellos ein sehr gefährlicher Mann. Sie zwang sich, laut zu fragen: »Wovon reden Sie, Mr. Chang? So interessant das auch klingt, ich verstehe einfach nicht, was Sie damit meinen.«
    Er kicherte. »Mein Kompliment, Mrs. Pollifax. Sie sind undurchschaubar, wie man es den Asiaten nachsagt. Und ich möchte nicht, daß daran gerüttelt wird. Sehen Sie, eben deshalb habe ich Sie zu dieser frühen Morgenstunde schon hierherzitiert. So stört uns wenigstens niemand. Übrigens hat sich bei der Autopsie eine unlösbare Frage ergeben.«
    »So?« meinte sie, auf das Schlimmste gefaßt.
    »Es stellt sich einem natürlich die Frage«, fuhr er unerschütterlich fort, »wie Mr. Forbes mit einem kräftigen Karateschlag ins Jenseits befördert werden konnte, wo doch sein Gegner Peter Fox schon abgestürzt und auf dem Grunde der Schlucht in den Stromschnellen
    versunken war.«
    OGott, dachte Mrs. Pollifax. Damit hatte sie wahrhaftig nicht gerechnet. Sie konnte ihren Schrecken nicht verbergen, sobald sie ganz erfaßte, was sie zu diesem wahnwitzigen Zeitpunkt, bei dem es um Sekunden ging, außer acht gelassen hatte. Ihre Augen weiteten sich vor Schreck, dann senkte sie den Blick. Doch gleich darauf hatte sie sich wieder in der Gewalt. Sie zwang sich, Mr. Chang in die Augen zu sehen.
    Er sah sie freundlich an, sagte aber nichts.
    »Es ist natürlich möglich, daß...«, begann sie, doch dann schwieg sie; denn ihr wurde klar, daß ihr keine glaubwürdige Version mehr einfallen würde, so sehr sie sich auch das Hirn zermarterte. Als sie Forbes so zugerichtet hatte, hatte
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