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In allertiefster Wälder Nacht

In allertiefster Wälder Nacht

Titel: In allertiefster Wälder Nacht
Autoren: Amy McNamara
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brauche Wasser, irgendwas. Ich geh rüber in unsere kleine Küche. Wenn Dad jetzt Wodka im Haus hätte, würde ich mir ein Glas einschenken und es runterstürzen. Alles Hochprozentige ist im Atelier.
    »Gern«, sagt er. »Selters wäre gut.« Er lächelt mich wieder an. Ein verhaltenes Lächeln, so als wüsste er etwas über mich, als würden wir einander schon eine Weile kennen.
    Ich hole mir ein großes Glas von dem komischen, nach Eisen schmeckenden Brunnenwasser, das aus unserem Wasserhahn kommt, trinke es aus. Weiß nicht, wann ich das letzte Mal so durstig gewesen bin.
    Er legt mir die Hand auf den Arm, als ich ihm die Selters reiche, schaut mir direkt in die Augen.
    »Setz dich.«
    Er zieht mich neben sich auf die Couch. Ich kann seine Haut riechen, ist vielleicht sein Shampoo, was Tolles. Die Körperwärme überbrückt die Lücke zwischen uns. Eine Sekunde lang denke ich, er küsst mich. Tut er nicht. Sitzt nur still neben mir. Ich guck wieder weg.
    »Was hast du gehört?«, frage ich, dabei nage ich an meiner Unterlippe. Ich rücke ein wenig von ihm ab, ziehe die Knie an die Brust und schlinge die Arme darum. Ich bin eine Festung. »Du hast gesagt, du hättest Gerüchte gehört …«
    »Dein Vater hat jemandem erzählt, dass du einen Unfall hattest, aber dass du nicht verletzt wurdest. Du würdest eine Weile hierbleiben, vor dem Studium.«
    Wieder Schweigen.
    Als ob er drauf warten würde, dass ich etwas sage. Keine Chance. Schon bei dem Gedanken wird mir schlecht.
    »In einer kleinen Stadt gibt’s nicht viele Geheimnisse, oder?«, sag ich schließlich.
    Er guckt mich entschuldigend an.
    Meine Hände und Arme fangen ein wenig an zu zittern und sind nicht mehr warm. Der Griff um die Knie lockert sich. Erstaunt schau ich sie an.
    Sein Blick folgt meinem und er nimmt meine eine klamme Hand und streicht ganz leicht mit dem Finger über die zerkratzten Stellen auf der Handfläche.
    »Gott, deine armen Hände.«
    Ich versuche, ganz normal weiterzuatmen, und zieh die Hand weg.
    »Das ist nicht von dir … von unserem … vom Rad und vom Auto. Du hast nicht …«
    Wieder krieg ich nicht genug Luft. Ich hasse dieses Gefühl, versuche, mich einen Moment zu entspannen.
    »Beim Laufen heute Abend bin ich hingefallen. Ich …«
    Mir stockt der Atem. Ich guck zur Decke, damit die heiße Träne sich im Augenwinkel hält. Sie rollt mir trotzdem die Wange runter. Blöde Träne. Ich muss von ihm abrücken.
    »Ich will das hier wirklich nicht«, sage ich, stehe auf und entferne mich von der Couch. »Ich bin hierhergekommen, damit ich meine Ruhe habe, und so was nicht machen muss. Ich will das nicht mehr.«
    »Was nicht?« Er schaut mich an, als würde er versuchen, es zu verstehen. Immer mehr Leute reden mit mir in einem Ton, in dem man mit Gestörten spricht.
    Ich ziehe mich noch ein Stück weiter zurück, näher ans Fenster. In seiner Nähe halte ich es nicht aus. Wie ein riesiges Herz hämmert das Meer hinter mir an die Felsen.

Hinter einer Friedhofsmauer
    Ich seh Cals Gesicht an, als wär es weit weg. Auf diesen Trick bin ich im Krankenhaus gekommen. Alles ist weit weg. Irgendwo da draußen.
    Mein Herz beruhigt sich ein bisschen. Noch ein paar Sekunden so weiter, dann bin ich fast ruhig. Steuere wieder meinen sicheren Platz auf der Sessellehne an. Von dort aus guck ich in die Luft unmittelbar über seinem Kopf, damit ich ihm nicht in die Augen schauen muss.
    Jederzeit kann ich sie in meinem Kopf ablaufen lassen, die letzten sechs Monate meines alten Lebens. Im Grunde kann ich gar nichts dagegen tun.
    Unser Abschlussstreich. Wir haben Patrick eine Anzeige im Immobilienteil der New York Times aufgeben lassen und die Schule als Privatresidenz zum Verkauf angeboten, direkt vom Eigentümer. Tennisplätze, Dunkelkammer, Dachterrasse. Das Telefon der Direktorin stand nicht still. Lahm, aber wir fanden es lustig. Retro sogar, weil es so lahm war. Ich war selbstbewusst, zuversichtlich, dass sich eine gloriose Zukunft vor mir auftun würde. Dann hab ich sie ruiniert. Uns. Alles. Kopfüber im Auto, Patrick tot neben mir. Mit zerdrücktem Fensterglas besprenkelt … wie Tautropfen auf dem Gras. Und Frösche, die ihr endloses nächtliches Lied sangen.
    »Was mein Dad da gesagt hat, stimmt«, sage ich schließlich, während ich an dem zerrupften, stumpfen Samt unter mir zupfe.
    Er wartet auf mehr. Wenn ich es erzähle, geht er ja vielleicht. Kein fairer Handel.
    »Wahrscheinlich weißt du ohnehin alles, was es zu wissen gibt.« Das
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