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In allertiefster Wälder Nacht

In allertiefster Wälder Nacht

Titel: In allertiefster Wälder Nacht
Autoren: Amy McNamara
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weiß, dass die meisten Assistentinnen deines Vaters mit ihm die Stadt verlassen haben. Das hier ist ein kleiner Ort, die Leute mögen einen ja in Ruhe lassen, aber sie wissen trotzdem über alles Bescheid.«
    »Ich muss Schluss machen«, sage ich.
    Ich lege auf und kicke das Kissen weg. Jetzt wünschte ich, ich hätte das verdammte Fahrrad hier. Ganz kurz bin ich orientierungslos, mitten in meinem Zimmer. Ich hab keine Ahnung, was ich tun soll. Eines ist klar, ich kann nicht eine Minute länger drinnen bleiben. Ich schnappe mir mein Telefon, Ohrstöpsel und zieh die Laufklamotten an. Meine Hände zittern so schlimm, dass ich mir kaum die Schuhe binden kann. Die Tür schließe ich nicht ab. Ich bin raus aus dem Haus und über die Hauptstraße in den Wald gelaufen, bevor mir auffällt, dass es schon fast dunkel ist.

Nicht-Person
    Ich laufe, bis ich nicht mehr kann.
    Keine Musik. Nur mein Atemgeräusch und das hohe Gestrüpp und herabhängende Zweige, die mich ab und zu streifen. Mein aufgeschlagenes Knie blutet wieder und klebt an der Innenseite meiner Trainingshose. Das spärliche Licht der sinkenden Sonne wird größtenteils von den Zweigen über mir abgeschirmt. Ich bin eine Nicht-Person im Wald. Der letzte Mensch auf der Welt. Ich versuche, einen lauten Schrei rauszulassen. Ein triumphierendes »Ha!«. Aber das kommt erstickt und kläglich raus. Und plötzlich spielt es keine Rolle, dass der Wald um mich herum riesig ist. Ich kann mich nicht darin verirren. Kann mich nicht verlieren. Ich werde nie frei sein von dem, was geschehen ist.
    Ich versinke innerlich. So tief wie immer. Tiefer. Es gibt kein Entrinnen.
    Immer wird es Teil von mir sein. Das Auto, das um uns herum knirscht und sich zusammenfaltet, während wir uns überschlagen und schlingern. So laut, so schnell und dann so still, so lange. Das Vorher und das Nachher. Alles. Die in der Zeit gefangenen Augenblicke, die nichts sind als eine luftlose, endlose Diashow.
    Mein Hals tut weh, es ist schon lange her, seit ich geweint habe. Ich werde nicht weinen. Ich mach’s nicht. Kann’s nicht. Hab’s nicht getan, nicht ein Mal, nicht seit Patrick und ich diesen letzten Streit hatten. Ein Schluchzen würgt sich nach oben. Und noch eins darauf. Ich beuge mich vor, presse die Handflächen fest auf die Schenkel und keuche. Das Flickwerk, das mich seidem zusammenhält, scheint auseinanderzureißen. Vielleicht krieg ich es nie wieder zusammen.
    Ich dreh mich um und laufe wieder aufs Haus zu, hab das Gefühl, ich könnte über den Rand der Welt rennen. Vielleicht ist das notwendig. Ein paar Mal stolpere ich. Rutsche auf den süßlich riechenden, verrottenden Blättern auf dem Waldboden aus. Falle auf mein kaputtes Knie, die aufgeschürften Hände. Rotz läuft mir übers Gesicht und Tränen ziehen heiße Spuren über die Schläfen. Meine Augen brennen.
    Ich renne schneller, strenge mich immer mehr an. Als ob ich die Dunkelheit abhängen könnte. Wenn ich stürze, stehe ich noch zwischen den Schritten wieder auf. Der Schmerz ist gut, fühlt sich an wie die Lösung für irgendwas.
    In der Nähe des Hauses wird der Baumbestand dünner. Die Küste. Es funktioniert. Ich werde es überrunden, dieses Mal. Werde das schwarze Gefühl im Wald zurücklassen. Mich wieder einkriegen.
    Die Haustür hab ich schon beinahe erreicht, als ich sein Auto bemerke. Hätte ich aufgepasst, hingeguckt, dann hätte ich mich verstecken und warten können, bis er wieder weg ist. Abrupt bleibe ich stehen. Aber er sieht mich. Er ist an der Tür, will gerade klopfen, auf Krücken gestützt. Ich wische mir übers Gesicht, schnell. Der Rotz. Tränen.
    »Hi, ich …« Er hält inne, nimmt das ganze Bild in sich auf. Ein besorgter Ausdruck zieht über sein Gesicht.
    »Ich war joggen.« Ich versuch, das ganz lässig rüberzubringen, was mich, so, wie ich aussehe, wahrscheinlich bloß wie eine Irre wirken lässt. Zucke die Achseln, tu so, als ob das alles total normal wäre. Er schaut mich nur an.
    »Sorry, dass ich einfach aufgelegt hab. Ich musste zum Laufen raus.« Vage wedele ich mit der Hand himmelwärts, als ob das alles erklären würde. »Es wurde schon dunkel.«
    Ich versuche, an ihm vorbei zur Tür zu kommen.
    Er packt mich am Ellenbogen. Ganz fest.
    »Moment mal«, sagt er leise und ganz ruhig. »Du bist traurig.«
    Er ist so nah, ich kann ihn riechen. Gut riecht er. Seife, vielleicht. Waschpulver. Seine Augen sind dunkel vor Sorge. Mein dummes Herz schlägt wieder höher.
    Ich will die Haare
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