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In allertiefster Wälder Nacht

In allertiefster Wälder Nacht

Titel: In allertiefster Wälder Nacht
Autoren: Amy McNamara
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auf das verbogene Vorderrad. »Ich hab dein Rad zu Schrott gefahren.«
    Ich weiß nicht, was ich sagen soll. Wenn man so lange still gewesen ist wie ich, verlassen einen die Worte.
    »Mir geht’s gut«, schaffe ich noch mal hervorzubringen. »Ich hatte die Musik ganz laut gestellt. Das Auto hab ich nicht gehört.« Ich fasse mir ins Haar, zupfe Blätter und klebrige Kiefernnadeln raus.
    »Hast du dir den Kopf gestoßen?«
    »Nein, ist nur Zeugs von den Bäumen.« Ich werde rot.
    Er mustert mich kurz. Ich guck zum Himmel. Als ob ich irgendwie rauskommen könnte aus dieser Lage, so Flügel ausbreiten und weg.
    »Bist du die Tochter von John Wells?« Irgendwie klingt das erleichtert. Und wieder fährt die zittrige Hand durchs Haar. »Ich hab gehört, dass du hier hochgekommen bist.«
    Ich nicke. Weiß der Himmel, was er gehört hat. Bestimmt ist letzten Mai über mich berichtet worden. Der Telegraph lässt sich keine Gelegenheit entgehen, Geschichten über meinen Dad zu drucken. Den berühmten Adoptivsohn der Stadt. Was macht es schon, dass alle hier sich nur am Kopf kratzen, wenn sie die Arbeiten meines Vaters sehen, und darüber lachen, wofür Leute gutes Geld bezahlen und was sie »Kunst« nennen.
    Ich schaue auf meine Hände. Beide Handflächen sind aufgeschürft und harzverklebt. Aus der einen pule ich einen kleinen Stein. Das Knie meiner Jeans hat einen Riss. Wie eine Achtjährige, die sich gerade im Park mit dem Rad hingelegt hat.
    Sein Blick ist meinem gefolgt. »Du bist verletzt.« Er zuckt zusammen. »Ich fahr dich in die Stadt. Dr. Williams kann dich angucken, die Wunden reinigen.«
    »Nein, nein. Das geht schon. Mir fehlt nichts.« Ich will nirgendwohin, will niemanden sehen. Und ganz bestimmt nicht ins Krankenhaus oder irgendwas, das auch nur im Entferntesten an ein Krankenhaus erinnert.
    »Mir geht es gut«, sage ich mit mehr Nachdruck. »Wirklich, ich geh einfach nach Hause und wasch mich. Keine große Sache.«
    »Dann lass dich jedenfalls von mir nach Haus fahren.« Er steigt ins Auto, langt über den Beifahrersitz und stößt die Tür auf.
    Ich will mein Rad aufheben, aber meine Handflächen sind im Eimer. Ich wische sie mir ein bisschen an den Schenkeln ab.
    »Lass stehen«, sagt er. Er beobachtet mich. »Bitte. Du blutest. Ich hol es später.«
    Ich hebe den Rahmen etwas weiter an und lehne ihn an einen Baum. Über mir ist ein Vogel laut. Ein Habicht vielleicht, beim Jagen. Ein seltsames krächzig kreischendes Geräusch.
    Ich war noch längst nicht am Ende meiner Tour. Ich muss draußen sein, allein. Aber er wird mich nicht zu Fuß nach Hause gehen lassen, so viel ist klar. Ich wühle in den Nadeln nach meinem iPhone herum, verschaffe mir noch ein paar Sekunden, um mich zu sortieren, mich ein wenig zu beruhigen. Ein letztes Mal schau ich mein Rad an, dann gehe ich um den Wagen herum zu der wartenden Autotür.
    Am Beifahrersitz lehnen Alukrücken. Die nimmt er ein bisschen zur Seite und ich rutsche rein. Er beobachtet, wie ich sie ansehe.
    »Fuß gebrochen?«, frage ich. Ich sag immer das Richtige.
    Nun wird er rot, schüttelt den Kopf. »Ich bin krank.« Er guckt weg. »Schnall dich an.«
    Das Adrenalin rasselt in mir. Es dauert eine Weile, bis der Gurt an der richtigen Stelle einrastet.
    Er setzt mit dem Auto ein Stück in den Wald zurück, wendet und steuert das Haus meines Dads an.

Jetzt werde ich damit nicht anfangen
    »Dein Haus kenne ich«, sagt er. »Mein Vater hat es entworfen.«
    Ich wende den Blick nicht von den Bäumen ab, die an meinem Fenster vorbeipeitschen. Ich kann ihn nicht anschauen. Nicht ohne dass mein Herz ein wenig flattert. Und ich will nichts empfinden, nur deshalb bin ich doch an diesen gottverlassenen Ort gekommen. Aber er hat so etwas Ruhiges, Selbstsicheres an sich. Offensichtlich reagiere ich immer noch auf solche Dinge. Was er wohl damit meinte, dass er krank sei? Den Gedanken schiebe ich schnell von mir. Ich will es nicht wissen.
    Wir kommmen raus aus dem Wald und auf eine gepflasterte Straße. An die Stelle der Pinien tritt eine plötzliche Leere, die sich anfühlt wie ein tiefer Atemzug. Über dem Meer ein irre weiter Himmel. Es ist eine Küstenstraße, eine, von der man zufällig abkommen könnte, weil man von der Aussicht gebannt ist.
    Als ich noch klein war, hab ich mir vorgestellt, ich sei ein Pfeil, der abgeschossen in der Stadt hoch und frei über dem Himmel an der Küste entlangschnellt. Die paar Male, die ich meinen Dad besucht habe, seit er gegangen war,
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