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In allertiefster Wälder Nacht

In allertiefster Wälder Nacht

Titel: In allertiefster Wälder Nacht
Autoren: Amy McNamara
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einen Schubs.
    Innerhalb von Sekunden hab ich die Haustür erreicht und bin drinnen, lehne mich eine Weile an die Wand im Eingangsbereich, um das Zittern unter Kontrolle zu bringen.
    Nachdem ich den Dreck von meinen Handflächen und den Knien gewaschen hab, schau ich auf den Papierfetzen. Kein Name. Ist auch egal. Ich werde keine Sekunde länger an ihn denken. Mamie hätte so was getan, sie wäre den Rest des Tages rumgelaufen und hätte sich Gedanken über diesen Typen gemacht. Ich nicht. Nicht jetzt. Nicht mehr. Mein Herz ist fest verschlossen, wenn ich denn noch eins habe. Keine Komplikationen. So schütze ich mich. Ich werfe seine Nummer ins Altpapier.
    Und mein Dad arbeitet nicht im Atelier. Er ist nicht mal in der Stadt. Ist gestern zu einer Besprechung in einer neuen Kunstgalerie in Berlin geflogen. Wie ich schon sagte, ich bin wegen der Ruhe hier hochgezogen.

Die Wälder
    Morgen, Abend, dann Morgen, dann Abend. Die Sonne blinkt ihr SOS den ganzen Nachmittag aufs Wasser, dann sinkt sie, lässt Dunkelheit heranrollen. Darauf kann man sich verlassen. Ich bewege mich durch die Zeit, weil mir nichts anderes übrig bleibt. Beobachte das Licht, wache auf, atme, esse was, nehme eine Schlaftablette. Schlafe und wache wieder auf. Das ist alles, was ich schaffe.
    Wenn Dad weg ist, hab ich kaum Kontakt zu irgendjemandem. Abgesehen von den ständigen Anrufen meiner Mutter. Mary, eine der Studentinnen meines Vaters, schaut im Laufe des Tages immer mal wieder rein. Ab und zu treffe ich sie in der Küche beim Geschirrspülen an. Eigentlich sollte ich das machen, aber Dad hat ja solchen Charme. Die Leute tun alles für ihn. Mittlerweile kommt sie ins Haus, bevor ich aufwache, und normalerweise erwartet mich frischer Kaffee und Obst oder ein Stück Gebäck auf dem Tisch. Wahrscheinlich hat Dad sie gebeten, ein Auge auf mich zu haben.
    Ich würde Moms Anrufe einfach übergehen, wenn ich nicht wüsste, dass sie dann sofort in ihr Auto springen und hierherfahren würde. Sie will, dass ich über das hinwegkomme, was passiert ist, weitermache wie geplant, es als Neuanfang betrachte. Tabula rasa.
    Reiner Tisch. Leerer Wisch. Was auch immer. Meine Mutter ist eine Planerin. Sie verwaltet ein Krankenhaus. Ist alleinerziehend, seit mein Vater weg ist, und keine, die viel Gefühl zeigt, ich bin mir aber ziemlich sicher, dass er ihr das Herz gebrochen hat. Als er ging, wollte sie nichts mehr mit der Kunstszene und ihren Freunden dort zu tun haben. Es war, als würde man Arbeitern zuschauen, die die Stützen aus einem Zirkuszelt ziehen. Mom ging wieder zur Arbeit und es wurde sehr still in unserem Haus. Als ich dann ein Jahr vor meinem Schulabschluss erwähnte, dass ich vielleicht lieber zur Kunsthochschule gehen würde als auf eine der Unis auf unserer Liste, sagte sie mir, dass ich Kunst an der Uni immer noch als Neben fach »betreiben« könnte, wenn ich dann noch daran interessiert wäre. Ende der Diskussion. Jede Auseinandersetzung über das, was ich wollte, und das, was sie für das Beste hielt, gewann sie mit links. Aber wenn ich ihre Ziele erreichte und nicht aus der Reihe tanzte, ließ sie mich so ziemlich in Ruhe. Das funktionierte für uns beide. Laut Meredith sollte ich froh sein, eine Mutter zu haben, die sich tatsächlich für das interessiert, was ich mache. Ihren Eltern ist total egal, was sie oder ihr Bruder tun, aber sie heucheln Interesse, wenn sie das gut dastehen lässt. Ich fand es immer furchtbar, wenn sie das sagte, weil ich dann ein schlechtes Gewissen kriegte, aber sie hat recht. Ich habe eine Mutter, die sich interessiert, die zwar ein bisschen zu kontrollierend ist, aber sie interessiert sich. Trotzdem war ich bereit auszuziehen. Den nächsten Schritt zu machen. Nur noch ein paar Wochen hatten zwischen mir und der Freiheit gelegen, meinem Neuanfang allein. Diese Debatte über die Kunsthochschule hatte mir nicht mal besonders viel ausgemacht, ich wollte nichts weiter als im September ganz woanders aufwachen.
    Dieser Wunsch ist in Erfüllung gegangen.
    Aber meinen Schulabschluss hab ich verpasst. Und nach Amherst bin ich auch nicht gegangen. Meredith und ich sind nicht losgezogen und haben uns zusammenpassende Bettwäsche und Minikühlschränke gekauft. Wir haben nicht ausgerechnet, wie lange man für die Reise zwischen Vermont und Massachusetts braucht. Der Plan hat sich geändert.
    Ich liege quer über dem Bett und versuche, nicht daran zu denken, als das Telefon klingelt. Nach der Uhr ist es fast fünf. Der
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