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In allertiefster Wälder Nacht

In allertiefster Wälder Nacht

Titel: In allertiefster Wälder Nacht
Autoren: Amy McNamara
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fand ich diesen Teil der Fahrt immer am besten. Für mich hieß das, ein, zwei Tage lang tun und lassen zu können, was ich wollte, war jetzt in zum Greifen nah. Keine Regeln.
    Für meinen Dad ist es mit Sicherheit der richtige Ort. Was die Freiheit angeht. Keine Ablenkungen. Vermutlich waren wir eine Ablenkung. Wenn er nicht rumreist und seine Arbeiten zeigt, verbringt er den ganzen Tag in seinem Atelier, jeden Tag. Wenigstens glaube ich, dass er das tut. Ich weiß nicht viel über sein Leben. Als er ging, war ich noch klein, und ich hab ihn eigentlich nur gesehen, wenn er zu einer Vernissage oder Ähnlichem in der Stadt war. Dann aßen wir verdruckst miteinander zu Abend. Mom, Dad und ich. Die zerbrochene kleine Dreieinigkeit.
    Meine Mom findet es furchtbar hier oben. Als ich zehn war, bin ich mal in den Wäldern verschwunden, ich hatte mich von einer seiner Partys abgesetzt, und danach ließ sie mich nicht mehr hierherkommen. Die Einzelheiten hab ich nicht mehr klar vor Augen, aber ich glaube, ein anderes Kind und ich haben uns aus ein paar vergessenen Weingläsern bedient. Dann haben wir die Klippen und Wälder erkundet. Nach Einbruch der Dunkelheit. Ein spontan organisierter Suchtrupp wurde eingesetzt und dann war Schluss mit den Sommern bei meinem Dad. Wahrscheinlich wollte sie ihn bestrafen oder so. Damals dachte ich, sie würde mich bestrafen. Dad setzte sich nicht allzu sehr zur Wehr, also kam ich nicht mehr her.
    Ich glaub, es macht sie fertig, dass ich hier sein will. Sie hat Angst vor den Klippen, Höhe ist nichts für sie. Und das Haus meines Dads steht auf einer Klippe. Mit Blick übers Wasser. Hinter dem Haus ist dichter Wald bis zur Straße. Es ist ein tolles Haus, wenn auch ein bisschen zu sehr Männerhöhle. Sehr ruhig, sehr abgeschieden, aber ironischerweise wird zu jedem Interview mit meinem Dad ein Fotograf mitgeschickt, der Aufnahmen davon macht.
    Unsere Auffahrt schlängelt sich von der Landstraße her durch fünfzehn Meter hohe Rotfichten und weiße Zwirbelkiefern. Das Haus hat die Form eines weit offenen V – das die Arme vor dem Meer ausbreitet. Zwischen den Bäumen hinter dem Haus liegt ein riesiges Nebengebäude versteckt, mein Dad nutzt es als Atelier. Ist aber eher so was wie eine Scheune aus verzinktem Stahl mit Betonböden, Oberlichtern und einer Schiebewand, die vorn einen Raum abteilt, in dem Besuchern Arbeiten gezeigt werden.
    Sowie wir vorgefahren sind, reiße ich die Autotür auf. Mein Knie ist steif und die Handflächen brennen.
    »Warte.« Er berührt meinen Arm. »Bist du sicher, dass mit dir alles in Ordnung ist? Ich will dich nicht einfach hier absetzen, wenn du dich lieber mal von jemanden anschauen lassen solltest.«
    »Nein. Ist schon gut.«
    Ich will weg von ihm, raus aus dem Auto. Ich will sein Gesicht nicht länger ansehen.
    »Ich sollte mit deinem Vater reden, ihm erzählen, was passiert ist.«
    »Mein Dad arbeitet heute. Er hasst Störungen. Heute hat er Leute von der Hochschule für Design da.«
    »Wenn du meinst …«, sagt er.
    »Mir geht es gut. Ich geh rein und mach mich sauber. Keine große Sache.«
    Ich zittere, einfach so, als ob ich mich plötzlich erkältet hätte, als ob ich aufgeregt wäre, verängstigt oder beides. Er hört es in meiner Stimme. Schaut mich an, als könnte er in mich hineinsehen oder so. Seine Hand liegt warm auf meinem Arm. Zu meinem Entsetzen merke ich, dass ich zu weinen anfangen könnte. Seit Mai habe ich nicht mehr geweint, seit die Welt auf den Kopf gestellt wurde. Da werde ich jetzt nicht damit anfangen.
    Ich ziehe meinen Arm weg. Ich muss raus aus seinem Auto und ins Haus. Die Stelle am Arm, an der er mich berührt hat, fühlt sich an, als würde sich die Hitze den Rest des Tages dort halten.
    Er ist nicht überzeugt. »Na, dann …« Er holt Stift und einen Fetzen Papier aus dem Handschuhfach. »Nimm meine Nummer mit. Bitte. Ruf an, wenn du irgendwas brauchst.«
    »Mir geht es gut«, wiederhole ich und steige aus.
    »Und wenn du so weit bist, such dir in der Stadt ein Rad aus, ich bezahle es, oder kauf es woanders, online, egal, was für eines, was dir gefällt. Und ich hole dein kaputtes … das hätte ich gleich machen sollen. Ich bin …« Er wirft einen Blick auf seine Krücken und wirkt gequält.
    »Ach, ist schon okay«, sage ich schnell. »Wirklich. Ist in Ordnung. Ich mach mir keine Sorgen wegen des Rades. Danke fürs Mitnehmen.« Ich hör mich an wie ein Vollidiot. Ehe er noch etwas sagen kann, gebe ich der Autotür
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