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Immer wieder Dezember: Der Westen, die Stasi, der Onkel und ich (German Edition)

Immer wieder Dezember: Der Westen, die Stasi, der Onkel und ich (German Edition)

Titel: Immer wieder Dezember: Der Westen, die Stasi, der Onkel und ich (German Edition)
Autoren: Susanne Schädlich
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zeigen als nur das, was ich im Fach Schulgarten gelernt hatte. Ich zeigte Los Angeles, den Strand, die Palmen, das Meer. Ich zeigte, wie mein Leben war, dass ich es schaffte. Und wir machten unsere erste gemeinsame Reise im neuen Land. Nach San Francisco. Immer geradeaus auf dem Highway 1. Immer neue Blicke. Links der Ozean, rechts die Landschaft. Santa Monica, Santa Barbara, Big Sur, alles Namen, die die Mutter und der Vater mit dem Finger auf der Landkarte abgereist waren, damals, als sie zusammen mit Uwe Johnson kurz nach unserer Ausreise den Atlas aufgeschlagen hatten, während er in Dahlenburg von Amerika erzählte. Namen, die die Weite der Welt verhießen.
    Es war fast dunkel, als wir ankamen. Hotelsuche, überall »No vacancy«. Dann doch ein Zimmer, für eine Nacht, irgendwo in der Gegend um Mission Street, vielleicht weiter südlich, jedenfalls war es kühl. Ein Obdachloser, der in einer Runde von anderen Bier aus der Dose trank, sagte »it’s a good night tonight«. Was erst würde eine schlechte bringen, fragten wir uns. Am nächsten Tag natürlich das volle Programm. Lombard Street, diese blumengeschmückte Bilderbuchstraße. »Seht ihr auch Steve McQueen in einem blauen Mustang in die Lombard Street einbiegen und in Richtung Osten weiterfahren?«
    Mission Dolores, diese alte spanische Mission. »Seht ihr auch Jimmy Stewart, wie er durch einen Torbogen über den Friedhof irrt und Kim Novak sucht?«
    Chinatown, dieser Eintritt durch das Dragon Gate, und plötzlich waren wir in Shanghai oder Hongkong, Souvenirläden, Kräutergeschäfte, Imbissbuden, Restaurants, bemalte Tempel, Menschen über Menschen. »Seht ihr auch Harrison Ford, wie er bei strömendem Regen aus der Dunkelheit ein Restaurant betritt und mit einem Koch redet?«
    Alcatraz, mit einem Boot auf stürmischer See zur Gefängnisinsel. Wir stiegen nicht aus, sahen nicht Burt Lancaster, wie er in Einzelhaft zu einem Ornithologen wird. Wir waren froh, als wir wieder festen Boden unter den Füßen hatten. Es wurde dunkel, aber wir liefen weiter. Bettler, manchmal alle zehn Meter, mit einem Becher in vorgestreckter Hand. Weiter, konnten nicht allen geben, bis in Straßen, in denen die Läden vergitterte Fenster hatten und wir die Blicke der Menschen auf uns spürten.
    Ich: »Wir kehren um, ich laufe nicht weiter. Das ist hier nicht mehr sicher.«
    Wir waren die einzigen Weißen dort. Für die Mutter und die Schwester ein Ereignis.
    Warum ich das erzähle? Weil wieder alles das erste Mal war. Weil es die erste Reise in die USA war, die die Mutter und die Schwester machten. Weil zum ersten Mal die Mutter mir auf meinen Wegen folgte. Nicht umgekehrt. Und noch etwas: Es war der Beginn von etwas. Es setzte etwas in Gang, es kam Bewegung in die Familie. Es war, als breche ein Bann. Von da an gab es regelmäßige Besuche, immer abwechselnd, in einem Jahr nach Deutschland, im nächsten Jahr nach Amerika. Auch mit dem Vater war es so. Wir sahen uns in Amerika wieder, nachdem wir uns lange nicht hatten sehen können.
    Und weil der Vater Bluesliebhaber ist, sagte ich: »Ich werde dir etwas zeigen, das du nur hier sehen wirst.«
    Ich: »Die Gegend ist gefährlich, du musst immer an unserer Seite bleiben. Wenn du einmal im Club bist, geh nicht einfach so raus.«
    Der Vater: »Lass uns lieber anderswo hinfahren, wo es nicht gefährlich ist.«
    Ich: »Anderswo hörst du keinen so guten Blues.«
    Wir fuhren dahin, wo sich, als ich in Los Angeles lebte, kaum einer hintraute, zur Central Avenue, Ecke 53ste Straße, South Central L. A., ein Synonym für Verfall und Verbrechen, Heimat der »Bloods« und »Cribs«, der Straßengangs. Das war einmal anders gewesen, in den vierziger Jahren, als dort das Blues- und Jazz-Zentrum der Westküste war, Kneipe an Kneipe, Leuchtreklamen, dass es auch nachts taghell war, Club an Club, in denen solche wie Billie Holiday, Ella Fitzgerald, Nat King Cole oder Clora Bryant ein und aus gingen. Hier hatte es das Dunbar Hotel gegeben, das einzige erstklassige Hotel, in dem Schwarze in Los Angeles unterkommen konnten.
    Das Hotel, die Musikclubs und Bars, die helle Neonreklame und das tosende Nachtleben gab es nicht mehr.
    Wir parkten den Wagen in Sichtweite der Eingangstür. Ein eisernes Gesetz. Das wussten wir von früheren Besuchen bei Babe’s & Ricky’s Inn. Aus dem einzigen Fenster drang kaum Licht, Uneingeweihte konnten nicht ahnen, was sich dahinter verbarg.
    Ein kleiner, pockennarbiger, buckliger Mann mit viel zu großer
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