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Immer Schön Gierig Bleiben

Immer Schön Gierig Bleiben

Titel: Immer Schön Gierig Bleiben
Autoren: Rob Alef
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Etüden, die der Meister gespielt hatte, um warm zu werden, verschiedene Takes desselben Stücks. Sie waren in den USA entstanden, als ein Tonmeister den Mut besessen hatte, den Meister zu fragen, ob er den künstlerischen Entwicklungsprozess dokumentieren dürfte. Dieser Tonmeister hatte zwar ein Label gefunden, das aus den Bändern Schallplatten gemacht hatte. Als aber nach einem Jahr nur vier Exemplare dieser
Rubinstein Studio Sessions
verkauft worden waren, hatte das Label die anderen Exemplare verramscht und, was aus der Sicht des passionierten Sammlers noch viel schlimmer war, die Platten einzeln verkauft. Auch die Sammlung des Musikjournalisten war nicht vollständig, es fehlten dreizehn Platten. Von diesen fehlenden Platten hatte Pachulke sieben zu Hause stehen, Resultat jahrelanger unablässiger Sucharbeit auf Flohmärkten und im Internet. Würde es ihm gelingen, die hier angebotene Sammlung auf einen Schlag zu ersteigern, wäre er ein
Sessions minus sechs
, ein Rang, der im Militär einem Vier-Sterne-General entsprochen hätte. Falls er diese Sammlung ersteigerte. Als Pachulke zum ersten Mal gelesen hatte, dass der Journalist gestorben war, hatte er seine wöchentlichen Einkaufstouren auf das absolute Minimum beschränkt und angefangen zu sparen. Er wusste, dass sich die
Studio Sessions
nahezu vollständig im Besitz des Journalisten befanden. Eine seiner Spezialitäten war die Vorstellung verschiedener Interpretationen desselben Stücks gewesen, und die
Rubinstein Studio Sessions
verwendete er gern als Referenzaufnahmen, vor allem für Chopin.
    Zunächst saß Pachulke entspannt auf seinem Platz, aber je näher Nummer 256 rückte, desto aufgeregter wurde er. Er hatte bereits vor einigen Wochen den Schreiner kommen lassen. Egal, wie das hier heute ausgehen würde, am Freitag würde er bei Pachulke in der Wohnung das neue Regal montieren. Es würde fertig sein, wenn Engine Plink das nächste Mal vorbeikam, dann würden sie zusammen Rubinstein hören, die ganze Nacht.
    »Nummer 256, die
Studio Sessions
von Artur Rubinstein, eine Sammlung von zweihundertvierzig Schallplatten mit Ausnahme von …« Der Auktionator verlas die Liste der fehlenden Platten, so wie sie im Katalog standen, und Pachulke verglich akribisch. Statt der Platten stand ein Foto von Rubinstein vorn auf der kleinen Bühne. Pachulke hatte sich die Platten angesehen und war irritiert gewesen, dass er gleich zweimal von anderen Besuchern weggedrängelt worden war. Das versprach einen heißen Kampf. Aber er war bereit, bis ans Limit zu gehen.
    »Das Startgebot liegt bei viertausend Euro«, sagte der Auktionator.
    Nicht mal achtzehn Euro pro Platte. Das war ein Schnäppchen, aber dabei würde es nicht bleiben. Pachulke warf einen Blick in die Runde. Wo war die Frau mit dem gefleckten Brillengestell, die mit ihren gierigen Händen seinen Rubinstein begrapscht hatte, direkt vor seiner Nase? Ah, am anderen Ende des Raumes saß sie und starrte in den Katalog. Und wo war der Schnösel mit der Bodyguard-Figur, der eine der Plattenkisten angehoben und zu seiner weiblichen Begleitung gesagt hatte: »In den Cheyenne kriegen wir das locker rein, Schatz.« Der stand ganz hinten. Klar, damit alle sehen konnten, wie gut er gebaut war. Pachulke hatte eben keine Figur aus dem Katalog für Kleiderschränke, eher eine aus einem Katalog für Stofftiere. Rundlich war ein Wort, das vielen Leuten einfiel, wenn sie Pachulke sahen. Einige Male war ihm das schon hinterbracht worden. Einmal hatte er einen Tisch in einer ruhigen Nische der Kantine reserviert, um dort eine Teambesprechung durchzuführen, und die Frau am anderen Ende der Leitung hatte gesagt: »Ach, Sie sind der Dicke aus der Baracke, ja, hab ich notiert.« Aber körperliche Vorzüge waren nicht entscheidend für Artur Rubinstein. Ein gutes Gehör dagegen half immens, und das nötige Kleingeld. Pachulke besaß beides.
    Es ging los. Gesteigert wurde in Schritten von 200 Euro. Die Gebote liefen quer durch den Saal, schnell war man bei 6.000 Euro, bald schon bei 7.000. Der Hüne hatte einmal auf 6.200 geboten und danach geschwiegen, die alte Frau hatte noch keinen Mucks von sich gegeben. Auch Pachulke wollte den Moment der Überrumpelung nutzen. Man näherte sich den 8.000 Euro. Wieder war es der Kleiderschrank gewesen, der sich zu Wort gemeldet hatte. Aber der Auktionator hatte kaum »8.200« über die Lippen gebracht, da war die Frau eingestiegen.
    Es ging hin und her. Kleiderschrank und Brille jagten sich
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