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Immer diese Gespenster

Immer diese Gespenster

Titel: Immer diese Gespenster
Autoren: Paul Gallico
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Mutter.
    Vetter Freddie, das fette Gesicht ganz rot vor Erregung und dicke Schweißperlen auf Stirn und Oberlippe, sagte: «Mein Gott, Beth war also die Nonne!»
    Der Sinn seiner Worte war allen klar, und es folgte ein betretenes Schweigen. Nur Sir Richard, der aussah, als habe er den Verstand verloren, rief heiser: «Großer Gott! Meine Beth — die Nonne?»
    Die Anwesenden blickten entsetzt auf das Mädchen, das durch sein Schweigen und die Tracht, die es trug, seine Schuld einzugestehen schien. Eltern und Freundin, Bruder und Geliebter starrten sie fassungslos an.
    Hero, dessen Gedanken und Gefühle ganz verwirrt waren von den Dingen, die er jetzt wußte, trat an ihr Bett. Er roch an dem Glas, kostete die Milch, kniete nieder und legte das Ohr an Beths Brust; er hörte ihr Herz ganz schwach und unruhig schlagen, roch an ihrem Atem, zog die Lider auseinander und blickte in die leeren Augen. Dann befahl er knapp: «Mark, rufen Sie sofort Dr. Winters an! Meg, sorg für heißen Kaffee!»
    Sir Richards Kopf bewegte sich hin und her, während er sagte: «Meine Beth die Nonne? Wie kann das möglich sein, wo wir in jener Nacht doch beisammen waren?»
    Hero ging zu ihm, packte ihn bei den Schultern, schüttelte ihn und befahl: «Fassen Sie sich. In welcher Nacht war das? Wann? Wo?
    «Das letzte Mal, als die Nonne umging und die Harfe spielte. Ich fand Beth allein in der Bibliothek. Sie zitterte vor Angst. Ich nahm sie in die Arme — sie hatte der Nonne folgen wollen. An jenem Abend fanden wir uns. Wir waren noch beisammen, als die Harfe zu spielen begann.»
    Als hätte der schwärzeste Abgrund sich zu seinen Füßen aufgetan, erkannte Hero seinen Irrtum und die Folgen, die sich daraus ergeben hatten, und er stöhnte laut auf: «Was für ein Narr bin ich doch gewesen! Wie konnte ich das übersehen? Ich hätte es wissen müssen!»
    Denn von dem Augenblick an, da Beth in Sir Richard Lockeries Armen lag, hatte für Susan Marshall keine Gefahr mehr bestanden. Der Haß, den Mrs. Taylor so deutlich gespürt hatte, war auf Beth Paradine übertragen worden.

    Die Nonnentracht lag in einem zerknitterten Haufen am Boden. Beth, in Pantoffeln und Morgenrock, wurde, von Dr. Winters und Mark Paradine gestützt, im Zimmer auf und ab geführt. Ihre Augen blickten immer noch starr ins Leere, und ihr Mund war ausdruckslos, aber die Bewegungsfähigkeit hatte sie einigermaßen zurückgewonnen. Sie konnte die Glieder wieder gebrauchen. Hero und Meg beobachteten sie aufmerksam.
    Meg fragte ihren Stiefbruder: «Sandro, weißt du, wer... was geschehen ist?»
    Hero antwortete grimmig: «Ich glaube, ja. Sie hat eine zu große Dosis Schlaftabletten bekommen», und deutete auf das zu zwei Dritteln geleerte Glas und das Fläschchen auf dem Nachttisch.
    Sir Richard hatte seine Selbstbeherrschung wiedergefunden, wenn er auch immer noch tief bestürzt war. «Weshalb hat sie das getan?» stöhnte er. «Wir waren so glücklich. Wir hatten uns gefunden. Wäre ich nicht nachschauen gegangen, ob bei ihr alles in Ordnung ist, hätte man sie nicht mehr retten können.»
    Hero antwortete: «Sie sollten etwas mehr Vertrauen haben. Sie hat es nicht getan. Schauen Sie sich das Fläschchen an — es ist fast voll. Sie hat nicht mehr als eine, höchstens zwei Tabletten genommen und dann die Milch getrunken. Die Überdosis befand sich bereits in der Milch. Und das Nonnengewand wurde ihr angezogen, als sie schon bewußtlos war.»
    Alle blickten mit Abscheu auf die schwarze Tracht am Boden, und Lord Paradine rief: «Soll das heißen, daß jemand meine Tochter hat ermorden wollen?» Und Lady Paradine klagte: «Warum — warum nur? Wer hat meinem Kind das antun können?»
    «Ich kann Ihnen zwei Erklärungen dafür geben, und eine davon ist wahrscheinlich symbolisch», erklärte Hero. «Ein zwangsläufiges Ausscheiden aus der Welt der Liebe und der des Lebens. Dieser Fall ist von Anfang an von Symbolik gekennzeichnet gewesen. Oder haben Sie etwa vergessen, in welchem Zustand Susans Zimmer vorgefunden wurde? Und die eisige Hand an ihrer Kehle?»
    Sir Richard fragte: «Sie glauben also nicht, daß Beth die Nonne gespielt hat, Hero?»
    «Ich halte es für ganz ausgeschlossen», erklärte Hero bestimmt. «Beth war ja in Ihren Armen, als die Harfe ertönte. Wenn mir das früher zu Ohren gekommen wäre, hätte ich das Folgende vielleicht verhindern können. Harfe und Nonne haben von jeher untrennbar zusammengehört.»
    Vetter Freddie hob plötzlich den Kopf und schnupperte
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