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Im Zeichen des weißen Delfins (German Edition)

Im Zeichen des weißen Delfins (German Edition)

Titel: Im Zeichen des weißen Delfins (German Edition)
Autoren: Gill Lewis
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vergessen würde, aber irgendwie scheint es so, dass ich sie jetzt nicht mehr sehe, so sehr ich mein Gedächtnis auch anstrenge.
    Ich muss wohl eingeschlafen sein, denn als ich aufwache, hat der Wind nachgelassen und auf der Moana ist es ganz still. Die Segel sind gerefft, das Boot schaukelt sanft und ankert im Schutz der Bucht, in der unsere Hummerkörbe liegen. Der Duft von heißem, süßem Kaffee weht mir aus Dads rotem Blechnapf entgegen. Die Sonne wärmt mir den Rücken und das Meer ist türkisblau, durchzogen von silbernen Lichtstreifen. Irgendwo über uns schreit eine Möwe, sonst aber herrscht Stille.
    Dad lehnt an der Bordwand und zieht an einem Tau, das sich tropfnass und voller Seetang an Deck windet. Er hebt einen Hummerkorb an Bord und stellt ihn auf den Boden. Im Korb sehe ich ein Gewirr von Hummerbeinen und Fühlern. Das ist ein großes Exemplar und bringt auf dem Markt bestimmt einen guten Preis. Ich weiß, dass wir das Geld brauchen.
    Dad öffnet die Klappe und fährt mit der Hand über die gepanzerte Rückenschale des Hummers. Er zieht ihn heraus. Die Scheren des Tieres schlagen um sich. Die roten Fühler schnellen vor und zurück.
    Dad dreht ihn um. In der weichen, geschützten Wölbung seines Körpers kleben, zusammengebündelt, Hunderte winziger Eier, die im Licht der Sonne schwarz glitzern.
    »Sie ist trächtig«, sage ich. »Wir können sie nicht verkaufen. Schau dir all diese Eier an.«
    Dad blickt hoch. Eben hat er gemerkt, dass ich wach bin. »Wir nehmen sie mit und lassen sie im Reservat frei«, sagt er.
    »Was nützt das?«, frage ich. Ich schaue ihn missmutig an. »Jake sagt, dass sein Vater mit den Schleppnetzen jedes Fleckchen Reservat durchpflügt, wenn das Fangverbot aufgehoben ist.«
    Dad setzt den Hummer in einen großen schwarzen Eimer, den er mit einem Handtuch abdeckt. Dads Blick ist finster und angespannt und über sein Gesicht ziehen sich tiefe Furchen. Er weiß, dass wir nichts tun können, um Dougie Evans davon abzuhalten, das Riff zu zerstören.
    »Halt dich von Jake fern«, sagt er. »Er sucht immer Zoff, wie sein Vater.«
    Ich unterdrücke ein Lachen und stelle mir Jake vor, wie er mit blutendem Gesicht im Dreck liegt. »Das ist jetzt erst mal vorbei.«
    Dad blickt hoch. Ich versuche, mein Grinsen zu verbergen, aber ich weiß, dass er es längst bemerkt hat.
    »Steckst du in Schwierigkeiten, Kara?«, fragt Dad.
    Ich hebe das Handtuch hoch und betrachte das Hummerweibchen. Sie glotzt mich mit ihren kleinen schwarzen Augen an. »Sie braucht Meerwasser«, sage ich.
    »Was hat Jake noch gesagt?«, fragt Dad.
    Ich decke den Eimer wieder mit dem Handtuch ab, lehnemich zurück, damit ich Dad in die Augen sehen kann, und stelle ihm die Frage, die mich schon die ganze Zeit bewegt. »Willst du die Moana verkaufen?«
    Dad jedoch wendet sich ab. Er bindet ein Stück Makrele als Köder in den Hummerkorb und wirft ihn zurück ins Wasser. Die Taurolle wickelt sich ab und verschwindet in den flackernden Lichtstrahlen, die auf der Meeresoberfläche tanzen.
    »Es stimmt, oder?«, sage ich. »Du verkaufst sie. Du verkaufst die Moana .«
    Ich möchte von ihm hören, dass es nicht wahr ist, weil mich Dad nie anlügt.
    Aber das sagt er nicht.
    Er dreht sich um und schaut mich an. »Ja«, sagt er, »es stimmt.«
    Mehr sagt er nicht. Doch es fühlt sich an, als ob mir jemand die Luft zum Atmen geraubt hätte.
    »Aber das kannst du nicht machen!« Ich kann die Worte kaum flüstern.
    »Wir haben keine Wahl, Kara«, sagt er. »Ich hab mehr Schulden, als ich jemals verdienen kann. Wir können uns nicht mal die Liegegebühren leisten.«
    Ich winde und winde die Enden der Decke in meinen Händen. »Was ist mit Mum?«, murmle ich.
    Dad schüttet die letzten Tropfen seines Kaffees ins Meer und schraubt den Deckel der Thermoskanne fest. »Es gibt keine andere Lösung.«
    »Was ist mit Mum?« Dieses Mal sage ich es lauter, damit er mich auch tatsächlich hört.
    »Mum hat uns verlassen«, sagt er und schaut mir direkt in die Augen. »Heute vor einem Jahr ist sie weggegangen. Glaubst du, ich weiß das nicht? Sie hat uns verlassen. Jetzt gibt es nur noch dich und mich.«
    Ich starre ihn an. Dad hat monatelang nicht von Mum gesprochen. »Mum würde die Moana nie verkaufen«, sage ich. »Sie gehört uns allen gemeinsam. Wir haben sie zusammen gebaut. Wie willst du Mum erklären, dass du unser Boot verkauft hast, wenn sie zurückkommt? Sie wird wiederkommen, ich weiß, dass sie wiederkommen wird.«
    Dad sieht
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