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Im Zeichen des weißen Delfins (German Edition)

Im Zeichen des weißen Delfins (German Edition)

Titel: Im Zeichen des weißen Delfins (German Edition)
Autoren: Gill Lewis
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Jahre alten Hafenfotos aus lossegeln können.
    Als die Moana gegen den Ponton stößt, bringe ich mich in Stellung, packe das Schiffstau und ziehe das Boot heran. »Nimm mich mit«, sage ich.
    Dad beschattet seine Augen, um mich im Gegenlicht sehen zu können. »Warum bist du nicht in der Schule?«
    »Ich kann nicht in der Schule bleiben«, sage ich. »Nicht heute, heute wirklich nicht, Dad.«
    Dad sitzt einfach da, die Hand am Ruder, und schaut mich an. Ich möchte gern wissen, ob der heutige Tag auch für ihn etwas bedeutet, ob auch er sich an etwas erinnert. Über unseren Köpfen plustern sich die Segel auf. Die Moana kann es kaum erwarten davonzusegeln.
    »Lass mich mitkommen, Dad«, sage ich. Ich möchte ihn gern fragen, ob das wahr ist, was man sich über die Moana erzählt. Aber irgendetwas hält mich davon ab, weil ich ein letztes Mal mit ihr lossegeln möchte, ohne zu wissen, ob es stimmt, dass er sie verkaufen will. Etwas nicht zu wissen, macht ein wenig fröhlicher. Es lässt einem einen Funken Hoffnung.
    Dad reibt sein stoppeliges Kinn. »In Ordnung«, seufzt er, »komm rüber.«
    Ich klettere an Bord, ziehe mir die Rettungsweste über und stoße die Moana vom Ponton ab. Hier, hinter den langen Armen der Hafenmauern, ist das Wasser tief und grün und still. Auf seiner Oberfläche kräuseln sich regenbogenfarbene Ölflecken. Dad setzt das Hauptsegel und ich ziehe den Klüver ein. Ich beobachte, wie das dreieckige Segel über mir den Wind einfängt und sich strafft. Und dann gleiten wir im Schatten des Hafens hinaus in die offene See.
    Das Wasser draußen in der Bucht ist sehr unruhig. Ständigweht eine Brise vom Land her und wirbelt kleine Wellen hoch, auf denen weiße Schaumkronen tanzen. Als sich die Moana dem Kap nähert, schäumt Salzwasser über den Bug. Ich sitze da und beobachte, wie das Hafenviertel und der helle Streifen aus goldgelbem Sand langsam in der Ferne verschwinden. Die Schule und das Haus von Tante Bev verlieren sich bald im Gewirr aus Straßen und Häusern, die sich über den Hafen erheben. Auch die Jachten und Fischkutter und das lange weiße Dach des Fischmarktes scheinen jetzt, weit entfernt, fast in einer anderen Welt zu liegen.
    Und wieder gibt es nur noch uns allein.
    Die Moana , Dad und mich.
    Ich sitze neben Dad, aber er schaut mich nicht an. Seine Augen sind auf den fernen Horizont gerichtet, als würden sie einen Ort fixieren, den ich nicht sehen kann. Das ist fast so, als segle er mit einem anderen Boot auf einem anderen Meer. Ich schließe meine Augen und versuche mich zu erinnern, wie es früher war.
    Draußen vor dem Kap weht ein starker und kalter Wind und ich wünsche mir, dass ich eine Jeans angezogen oder wenigstens an einen Pullover gedacht hätte. Ich schlinge die Arme um die Knie und beobachte, wie sich die Gänsehaut auf meinem Körper ausbreitet.
    »Bist du okay, Kara?«
    Dad schaut mich an. Ich nicke, aber meine Zähne klappern trotzdem.
    »Nimm deine Decke, wenn dir kalt ist«, sagt er.
    Ich rutsche nach vorn zur Sitzbank am Vorderdeck und öffne die kleine Backskiste. Dort, wo man sie immer findet – im niedrigen Ablagefach über dem Werkzeugkasten und der Leuchtrakete –, sind drei ordentlich gefaltete Wolldecken verstaut. Ich ziehe meine hervor und wickle sie um mich. In ihrem satten Türkisblau, in das silberne Streifen eingewoben sind, sieht sie aus wie das sommerliche Meer. Ich kauere mich in eine Nische, vergrabe den Kopf in den dicken Falten der Decke und atme den salzigen Modergeruch ein. Unter uns braust der Ozean, Wellen klatschen wie Herzschläge gegen den Rumpf der Moana . Ich berühre das angestrichene Holz, um zu spüren, wie es gegen meine Hand pulst. Irgendwo unter den dicken Lackschichten befinden sich die Bleistiftskizzen von springenden Delfinen, die Mum für mich gezeichnet hat. Ich versuche, mit meinen Fingern ihren Konturen nachzuspüren. Fast kann ich das Sägemehl und das behandelte Holz im Bootshaus riechen, in dem Mum und Dad die Moana wieder zusammengebaut haben. Wenn ich meine Augen schließe, kann ich immer noch Dad sehen, wie er gedämpfte Holzplanken biegt, um den Rumpf zu formen, wie Mum weißen Kitt zwischen die Bretter drückt, um das Boot wasserdicht zu machen, und wie ich im Dreck sitze und Papierschiffchen übers weite Pfützenmeer gleiten lasse.
    Mum, Dad und ich.
    Diese Bleistiftdelfine befinden sich immer noch unter dem Lack und ich versuche, sie mir wieder in Erinnerung zu rufen.Ich hätte nie gedacht, dass ich sie
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