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Im Zeichen der blauen Flamme

Titel: Im Zeichen der blauen Flamme
Autoren: Federica de Cesco
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bedeckt. Lautlos schwang sich Susanoo auf die Brustwehr. Als er den Blick in den Innenhof senkte, sah er die Feuerstellen, an denen die Krieger saßen. Ein Geruch von Holzkohle und gegrilltem Fleisch lag in der Luft. Eine Anzahl Speere, an eine Mauer gelehnt, warfen lange Schatten in den Sand. Das Flammenlicht flackerte auf der weiß-purpurnen Königsstandarte, die vor dem mächtigen Tor aufgepflanzt war. Susanoo zeigte grinsend seine Zähne. Seine Allerhöchste Majestät hatte sich in seinen Fuchsbau zurückgezogen.
    Er rollte schnell das Seil zusammen und eilte auf eine kleine, vergitterte Eisentür in der Mauer zu. Es kostete ihn einige Mühe, den verrosteten Riegel zurückzuschieben. Endlich schwang die Tür auf. Susanoo lief geräuschlos den Gang entlang. Dann blieb er stehen und spähte um die Ecke. Ein Wachtposten saß mit untergeschlagenen Beinen vor einer Tür, gähnte und kratzte sich. Susanoo löste einen Kiesel aus der Wand und warf ihn weit vor sich in den Gang. Sofort schnellte der Wachtposten in die Höhe und zog klirrend das Schwert. Als der Mann sich zur anderen Seite entfernte, schoss Susanoo lautlos vor. Mit der linken Hand hielt er ihm den Mund zu, um seinen Warnschrei zu ersticken, und mit der Rechten bohrte er ihm sein Kurzschwert in den Rücken. Der Wachtposten war auf der Stelle tot. Susanoo ließ den leblosen Körper zu Boden gleiten und zog ihn in eine dunkle Ecke. Er schob die Tür zurück und trat in einen Vorraum; dahinter lag der Beratungssaal. Alle inneren Türen waren unbewacht. Er lief durch den nur schwach beleuchteten Hauptkorridor und fand sofort die Treppe, die er suchte. Hier war es stockdunkel. Er tastete sich die hölzernen Stufen hinauf. Durch eine niedrige Tür erreichte er einen Ecksöller an der zweiten Umfassungsmauer. Kühle, feuchte Luft schlug ihm entgegen. Hinter den Zinnen ragte der Hauptwachturm dunkel und mächtig empor. Auf der anderen Seite des Söllers war eine Tür, aus der schwaches Fackellicht drang. Susanoo hörte das leise Pochen der weich tönenden Tempeltrommel und die klare Stimme, die halblaut die heiligen Worte sang. Er drückte sich in den Schatten der Zinnen und wartete.

29
    I ch verneigte mich ein letztes Mal vor dem Altarschrein; dann verließ ich das Heiligtum und trat in mein Gemach. Es war noch finster, doch ein silbergrauer Schein im Osten kündigte schon die Dämmerung an. Ich liebte die Stille der Nacht, es kam häufig vor, dass ich mich erst im Morgengrauen schlafen legte. Maki half mir, mich auszukleiden und meine weiße Schminke zu entfernen. Ich zog ein Gewand aus kühler, weicher Seide an, legte mich nieder und wartete auf den Schlaf.
    Da hörte ich eine Stimme leise meinen Namen rufen, eine Stimme, die, wie ein Blitz den Himmel, mein Herz zerriss. Zitternd richtete ich mich auf, warf einen Umhang über meine Schultern. Ich öffnete die Tür, spähte hinaus und sah den reglosen Schatten unter den Zinnen. Ich trat auf ihn zu, spürte den Geruch nach Leder, Wasser und Rauch, der von seinen Kleidern ausging. Und dann stand ich vor ihm, sah zu ihm empor mit nachtblinden Augen. Er legte stumm beide Hände auf meine Schultern und zog mich eng an sich. Sein Gesicht konnte ich nicht erkennen; doch ich spürte durch die nassen Kleider die Wärme seiner Haut und den leisen Hauch seines Atems. Mehr als ein Jahr war vergangen seit dem Tag, da er mir sein Schwert anvertraut hatte. Aber mir schien, es sei erst gestern gewesen. Stets hatte sein Bild die Leere ausgefüllt, die mich quälte. Ich sah ihn überall, im Nebel, im Sonnenlicht, in den Stürmen; jetzt war er zu mir zurückgekehrt. Doch schlagartig wurde mir bewusst, in welche Gefahr er sich begeben hatte. Da löste ich mich von ihm, leicht schwankend, als erwachte ich aus einem Traum, ergriff seine Hand und flüsterte: »Komm.«
    Eine einzige Fackel brannte in meinem Gemach. Voller Verzweiflung sah ich den Schmerz, der sein Gesicht zeichnete, sah seine Wunden und die grauen Strähnen in seinem Haar.
    Â»Wo ist das Kind?«, stieß er heiser hervor.
    Ich holte tief Atem und antwortete ruhig: »Als Iri es töten wollte, schützten es die Edelsteine unserer Vorfahren. Doch sein Leben ist nur befristet …«
    Er ballte die Faust um seinen Schwertgriff. »Ich bin gekommen, es zu holen.«
    Ich legte einen Finger auf die Lippen, wandte mich ab und ließ die
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