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Im Tal des Windes: Roman (German Edition)

Im Tal des Windes: Roman (German Edition)

Titel: Im Tal des Windes: Roman (German Edition)
Autoren: Rebecca Maly
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wie ihre Augen, deren besonderes Grün sie von ihrem Vater geerbt hatte. Aber nein, sie war klein und unauffällig wie ihre Mutter. Lady Elisabeth Chester machte dieses Defizit durch energisches Auftreten und eine noch energischere Stimme wett, Johanna fehlte dazu der Mut. Sie vergrub die Nase lieber in den Büchern ihres Vaters, als den neuesten Klatsch und Tratsch auszutauschen. Und genau die Welt dieser Abenteuerbücher galt es jetzt endlich mit eigenen Augen zu bestaunen.
    Ein Pferd wieherte. Es war Don, der gutmütige, etwas faule Braune, der Vaters Einspänner zog. Also doch! Johanna sprang auf, die Hand bereits an der Tür, als der ersehnte Ruf erklang.
    » Johanna! «
    » Ja, Vater, ich komme. «
    Sie flog nur so die Treppe hinunter, in den sonnendurchfluteten Flur, wo der Herr des Hauses, Lord Anthony Chester, bereits auf sie wartete.
    Johanna sah sofort, dass sich ihr Vater für diesen Ausflug, der ihm ebenso viel bedeutete wie ihr, besonders herausgeputzt hatte. Er trug einen perfekt geschnittenen Anzug, hielt Zylinder und Stock in der Hand und strich sich unruhig über den frisch gestutzten Bart, der Johanna an anderen Tagen oft eher an einen zerrupften Vogel erinnerte. Seine grünen Augen sprühten vor Abenteuerlust.
    Johanna blieb atemlos vor ihm stehen und überlegte kurz, ob sie ihre Korsage vielleicht doch etwas zu eng hatte schnüren lassen.
    » Können wir aufbrechen? «
    » Ja. Deine Mutter findet, der Ausflug sei einer Dame ihres Standes unwürdig, und bleibt hier « , sagte er mit leichter Bitterkeit in der Stimme, schien sich aber seine gute Laune nicht gänzlich vermiesen zu lassen.
    » Aber Madame Rutherford ist doch auch dort, und sie bringt sogar ihre französischen Gäste mit… «
    » Lass gut sein, mein Kind, komm. «
    Er bot ihr seinen Arm. Johanna hakte sich fröhlich bei ihm unter und ging mit ihm zur Kutsche, die vor der Tür wartete.
    Ihr Vater, der um die Gesundheit seiner einzigen Tochter fürchtete, protestierte zwar kurz, aber dann fuhren sie den Weg zum nahen Hyde Park doch mit offenem Verdeck.
    Johanna konnte sich nicht sattsehen an all dem knospenden Grün und den fröhlichen Gesichtern der Sonntagsspaziergänger. Der Frühling schien alles auf magische Weise verwandelt zu haben. Hoch oben segelten die ersten Schwalben. Magnolien reckten stolz ihre großen Blüten in den Himmel, die blühenden Kirschbäume sahen wie rosafarbene Wolken aus. Die Luft duftete frisch und war durchzogen von immer wieder neuen frühlingshaften Gerüchen.
    Johanna genoss die Fahrt in vollen Zügen und schwieg beinahe andächtig. Bald hatten sie die Straßen hinter sich gelassen, und Don trabte über die sandigen Wege des Parks, wo sie ein Vogelchor mit freudigem Gezwitscher begrüßte. Männer, Frauen und Kinder strebten in dieselbe Richtung. Ein jeder schien heute unterwegs zu sein und nur ein Ziel zu kennen.
    Plakate kündeten von der großen Attraktion: die Völkerschau im Park.
    Afrika! Die Welt der Kolonien mitten in London, und ihre Mutter saß lieber schmollend zu Hause. Unglaublich!
    Schon von Weitem konnte Johanna die Trommeln hören. Erst glaubte sie, es sei ihr Herz, das vor Aufregung so laut klopfte, doch es war die Musik der Wilden. Bald würde sie die Fremden endlich mit eigenen Augen sehen.
    Vater und Tochter tauschten einen verschwörerischen Blick aus.
    Dies war Lord Chesters Welt. Schon sein eigener Vater hatte Forschungsreisen und Missionare in den Kolonien der Krone unterstützt und dabei mitgeholfen, die weißen Flecken auf der Weltkarte schrumpfen zu lassen. Die Leidenschaft für das Exotische hatte er an seinen Sohn Anthony weitergegeben und dieser an seine Tochter. Während Johanna sich nun wohl zum hundertsten Mal anhörte, was für weit gereiste Männer und berühmte Forscher anwesend seien, ließ sie ihren Blick über den frühlingshaften Park schweifen.
    Sie wusste genau, was ihre Mutter sagen würde. Dass er das Geld der Familie zum Fenster hinauswarf, damit ein paar Forscher durch Wüsten stapfen konnten und Anthony hinterher mit Trommeln und Lederfetzen abspeisten, die wahrscheinlich noch nicht einmal in den Augen der Eingeborenen etwas wert waren. Johanna sah es eher wie ihr Vater. Was nützten ein neues Tafelservice, Porzellanfiguren oder eine maßgefertigte Kutsche aus Frankreich, wenn man für das gleiche Geld Urwälder durchqueren und exotische Tiere entdecken konnte!
    Mitten im Getümmel erspähte Johanna etwas, das ihre Aufmerksamkeit erregte. Überzeugt, ihre
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