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Im Tal des Windes: Roman (German Edition)

Im Tal des Windes: Roman (German Edition)

Titel: Im Tal des Windes: Roman (German Edition)
Autoren: Rebecca Maly
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Lionheart
    D as Boot schwankte. Johannas linke Hand krampfte sich um den Brief, während sie sich mit der rechten an der Reling festhielt. Viele Meter unter ihr schnitt die Bordwand durch die grauen Wogen.
    Sollte sie die Erinnerung an Liam wirklich begraben?
    Als hätte er nur darauf gewartet, frischte der Wind auf und zerrte an dem Papier. Johanna wusste, sie würde ihren Schmerz nur vergrößern, wenn sie seine Briefe und das kleine Selbstporträt von ihm behielt. Jedes Mal, wenn sie es ansah– und das geschah auf ihrer nicht enden wollenden Reise oft–, hätte sie am liebsten laut geschrien.
    Nie wieder! Niemals würde sie Liam wiedersehen. Das klang gleichermaßen unglaublich wie schrecklich.
    Johanna hielt den Brief mit spitzen Fingern in den Wind. Ihre Zukunft würde sie an der Seite ihres Ehemannes Thomas Waters zubringen, und sie hatte vor Gott geschworen, ihm eine gute und treue Frau zu sein. Es gab kein Zurück.
    Ganz langsam löste sie ihren Griff. Tränen ließen die Welt verschwimmen.
    Eine Möwe schrie, und im gleichen Augenblick flog der Brief davon. Eine Bö hob ihn weiter und weiter hinauf.
    Johanna lief an der Reling entlang, bis es nicht mehr weiterging, und sah Liams liebevolle Worte hinabsinken, die zu einem weißen Punkt auf den grauen Wellen zusammenschrumpften.
    Sie holte einen weiteren Brief hervor. Der nächste Brief, der nächste Abschied. Sie drückte einen Kuss darauf und übergab ihn dem Meer. Sie hatte viele Briefe, es würde lange dauern.
    Liam, Liebster, verzeih mir, dachte sie. Gott hat nicht gewollt, dass wir glücklich werden.
    » Was tun Sie hier, Mrs Waters? «
    Sie fuhr herum. Dort stand Arthur Remington, Thomas rechte Hand. Den kräftigen Körper angespannt, näherte er sich langsam und erinnerte Johanna dabei an einen Kampfhund. Loyal gegenüber seinem Herrn, bereit, alles für ihn zu tun. Auf dieser Fahrt hatte er nur eine einzige Aufgabe: die Frau seines Vorgesetzten zu bewachen. Er hatte ihr schon die vergangenen Monate in London zur Hölle gemacht.
    Johanna hasste den zwielichtigen, grobschlächtigen Kerl, seit sie ihm das erste Mal begegnet war.
    » Ich habe Ihnen doch gesagt, dass Sie nicht allein an Deck dürfen « , sagte Arthur ungehalten. Der böige Wind wehte ihm das blonde Haar in die Stirn und milderte so den stechenden Blick.
    Johanna wischte sich die Tränen von der Wange und versteckte die Briefe hinter ihrem Rücken. » Was soll denn passieren? Wir sind hier in der ersten Klasse! « , entgegnete sie mutig. » Ich ersticke dort unten in der Kabine. «
    » Ihr Ehemann hat mir das Versprechen abgenommen, Sie nicht aus den Augen zu lassen, und ich werde meine Pflicht erfüllen. «
    Johanna wusste, bei Arthur kam sie nicht weit, wenn sie sich widersetzte, also lächelte sie bemüht.
    » Keine Sorge, ich verspreche, nur hier hinaus und in den Speisesaal zu gehen. Es ist für Sie doch sicher auch lästig, wenn Sie mir überallhin folgen müssen. Die erste Klasse kann doch unmöglich gefährlicher sein als Londons Straßen. «
    Arthur stemmte eine Hand in die Hüfte und sah sie gönnerhaft an.
    » Na schön, hier besteht wohl nicht die Gefahr, dass Sie sich mit Ihrem schottischen Buhlen treffen. Dennoch, informieren Sie mich gefälligst, wenn Sie die Kabine verlassen, ich bestehe darauf. «
    » Sicher, versprochen « , erwiderte Johanna. Das schnelle Klopfen in ihren Schläfen dröhnte unendlich laut. Eigentlich sollte sie ihn zurechtweisen, er hatte kein Recht dazu, sie derart herablassend zu behandeln, doch dafür war es zu spät. Er wusste, dass sie Angst vor ihm hatte, und das gab ihm eine schreckliche Macht über sie. Ihre Hand mit den Briefumschlägen verbarg Johanna noch immer hinter dem Rücken. Erst als Arthur schon wieder eine Weile unter Deck war, wagte sie es, freier zu atmen. Noch einmal Glück gehabt. Sie drückte die Briefe an ihr Herz. Nein, heute konnte sie unmöglich einen weiteren ins Wasser werfen.

Mai 1844
    London
    D as Wetter war genauso schön wie am Tag zuvor und versprach sogar noch schöner zu werden. Johanna trug ihre beste Reitkleidung, einen Rock in Champagner und Hellblau, akzentuiert mit feinem Atlasstoff. Das Haar hatte sie mit einer blauen Schleife im Nacken gebunden, ein breiter, heller Strohhut schützte ihr Gesicht vor der Sonne.
    Für ihre Eltern war der morgendliche Ausritt nichts Ungewöhnliches, und so gelang es Johanna, ungesehen in den Hof zu kommen. Ihre Mutter hätte bei ihrem Anblick sicherlich Lunte gerochen.
    Lady
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