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Im Tal des Vajont

Im Tal des Vajont

Titel: Im Tal des Vajont
Autoren: Mauro Corona
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werdenden Bauch auch nicht mehr so beweglich. Aber während ich das sagte, wusste ich zugleich, dass es für uns zwei nie eine gemeinsame Reise nach Erto geben würde. Aber sie glaubte zunächst einmal daran, und wenn einer glaubt, dann soll man ihn glauben lassen, so ist er wenigstens für kurze Zeit zufrieden. Und wenn später alles schiefgeht und er klarer sieht, wird er sich daran erinnern, dass er einmal für kurze Zeit zufrieden war. Und dann wird er darüber froh sein, wenigstens eine Zeit lang zufrieden gewesen zu sein, denn während dieser kurzen Zeit konnte er hoffen. Das wird ihm helfen weiterzuleben, aber er wird vor dem Einschlafen auch weinen deswegen.
    Das war der Grund, weshalb ich ihr sagte, ich würde sie zu meinem Dorf mitnehmen: um sie für diesen Moment glücklich zu machen, dabei wusste ich schon, dass ich sie nirgendwohin mitnehmen würde. Und danach konnte kommen, was wollte, es würde mich nichts mehr angehen, weder dieses Versprechen noch dieses Leben noch die ganze Welt.
    Den Ring wollte sie nur tragen, wenn ihr Mann nicht zu Hause war, andernfalls würde er merken, dass es meiner ist und ich ihn ihr gab. Also wollte sie ihn in ein Taschentuch stecken, wenn ihr Mann zu Hause war. Aber so würde sie ihn vielleicht verlieren, gab ich ihr zu bedenken, dann wäre sie traurig, und das machte alles nur noch schwieriger. Besser, sie ließe ihn immer am Finger, sie könne ja ihrem Mann sagen, dass es ein Zeichen der Dankbarkeit von mir sei, für all das, was sie für mich taten, und ich hätte mich gern von dem Ring getrennt, weil er ihr gefiele. Was sollte Schlechtes daran sein, wenn ich ihr den Ring schenkte? Das war doch nichts Schlimmes.
    »Behalt ihn am Finger«, ermutigte ich sie, »und du wirst es nicht bereuen.« Schließlich war sie überzeugt und versprach mir, dass sie am nächsten Tag ihrem Mann den Ring zeigen und ihm sagen würde, was ich ihr geraten hatte.
    Wir blieben noch für einige Stunden zusammen, und sie versuchte auch einiges mit mir anzustellen, aber ich war mittlerweile mit dem Kopf so weit von jenen Dingen entfernt wie der Berggipfel vom Dorf.
    Ich hatte nur immer den Stock von Raggio an der Wand der Osteria im Kopf, Raggio und seine Frau, die mein Kind, kaum geboren, eindickte; Maddalena Mora, die sich ihr Kind von einer Alten mit Stricknadeln herausziehen ließ; und meinen ermordeten Vater, und meine Mama, die im Sterben Blut spuckte; die trunksüchtige Tante mit den Ameisen im Mund und ihre Schwester mit dem Sohn in Mailand; meinen Bruder im Gefängnis von Udine und alles, was in meinem Leben schlecht gelaufen ist, so schlecht wie der Käse voller Würmer. Es gab genug Gründe, aus dieser Welt zu scheiden und nie wieder zu lachen, selbst nach dem Tod nicht.
    Die schwerste Last, die mein Leben zum Tod hinunterdrückte war, dass ich meinen Freund tötete, nachdem ich ihm bereits Leben und Familie zerstört hatte. Doch er war zurückgekehrt, um es mir heimzuzahlen, zu Recht, denn die Schulden müssen eine nach der anderen beglichen werden.
    Man kann flüchten, sich verstecken oder auch an gar nichts denken, aber am Ende wird einem immer die Rechnung serviert. Raggio hatte seinen Königsstab vorausgeschickt, um von mir die Rechnung einzufordern. Immer wieder sagte der arme Raggio, er würde mich mit seinem Stock umbringen, und jetzt, glaube ich, macht er es wirklich wahr.
    Aber ich habe keine Angst, nein, überhaupt nicht! Es soll nur schnell gehen, ich bin müde, und das Leben lastet auf mir wie ein Korb voller Blei. Auch mein Körper ist mir zur Last geworden. Ich bin stockdürr, fühle mich aber schwer wie ein Berg.
    Und müsste ich nicht dies alles hier aufschreiben, würde es auch in meinem Kopf nur so drunter und drüber gehen, wie bei einem Bienenschwarm im Frühjahr.
    Ich habe jede Lebenslust verloren.
    Aber davon weiß sie nichts, und so streichelt sie mich weiter und will das tun, worauf mir die Lust vergangen ist, seitdem ich diesen vermaledeiten Stock an der Wand gesehen habe.
    Gegen Ende der Nacht ging sie schließlich zurück in ihr Zimmer. Ich schaute ihr nach, wie sie langsam, ganz langsam durch die Tür verschwand, wie der Schatten eines Baumes im Wind, denn es war dunkel im Stall, und man sah nur sich bewegende Schatten, die der Kühe eingeschlossen.
    Oh, gebenedeiter Herr, was habe ich nur angerichtet! Wenn ich nur zurückkönnte. Aber es gibt kein Zurück, es gibt nur eins, das alles auslöscht, was da jemals war, ein anderes Zurück, den Tod. Denn mit
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