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Im Tal des Vajont

Im Tal des Vajont

Titel: Im Tal des Vajont
Autoren: Mauro Corona
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der zwei Kühe meiner Mutter und hütete die dreizehn Ziegen, die wir außerdem noch hatten und deren Zahl im Laufe der Jahre, bis zum Tag, als es geschah, auf über hundert angestiegen war. Und ebenso viele hatte ich in der Zwischenzeit auch schon in der Umgebung verkauft, einmal sogar dreißig auf einen Schlag an Bia Zoldan aus Cellino. Ich verdiente nicht schlecht an meinen Ziegen, und alles ging gut, bis schließlich sie auftauchte. Aber das ist schon zu viel gesagt, ich will nicht vorgreifen, erst noch einmal zurück in der Geschichte.
    Bastianin hatte sich in kurzer Zeit gut beim Schmied del Conte eingelebt und schnell das Schmieden gelernt. Er war ein mageres Kerlchen, und es tat mir in der Seele weh, wenn ich ihn bei meinen Besuchen so sah, schwarz vor Ruß wie ein Schornsteinfeger. Die Schmiede von Mano del Conte befand sich wenig unterhalb der Kirche, von wo es zum Cuagaviertel hinuntergeht. Ich sage bewusst »befand«, weil jetzt alles verloren ist, ich gehöre nicht mehr zu meinem Dorf dazu, denn jetzt sitzt mir der Tod im Nacken, und zurückgekehrt bin ich nur, um noch ein letztes Mal mein Zuhause zu sehen. Aber die Schmiede steht immer noch da, und Mano del Conte arbeitet ruhig weiter, auch wenn er alt geworden ist und nur mehr schlecht sieht. Bastianin hatte sich in der Zwischenzeit eine eigene Schmiedewerkstatt am Wildbach Vajont eingerichtet, in Großvaters altem Stall, in der Nähe der Osteria Bondi. Da er allein arbeitete, ließ er den Gesenkhammer, wie auch Blasebalg und Bohrer, von einem Mühlrad antreiben. Das Wasser ist überall nützlich und hilfreich, aber wenn es zornig wird, kann es großes Unheil anrichten.
    Während ich das jetzt aufschreibe, ist Bastianin vierunddreißig Jahre alt und unverheiratet, und ich glaube nicht, dass er dort, wo er sich jetzt aufhält, noch einmal heiraten wird. In Wahrheit hatte er schon eine Geliebte, aber die endete in der Irrenanstalt von Pergine Valsugana. Man sagt, dass die Eifersucht eines jungen Kerls aus der Siedlung Valdapont schuld an ihrem Wahnsinn war. Ihm gefiel diese Frau mit ihren achtundzwanzig Jahren, aber sie hatte bereits ein Auge auf meinen Bruder Bastianin geworfen. Deshalb beschloss der Junge aus Erto, die Geliebte meines Bruders umzubringen, und brachte sie mit einer List dazu, Belladonna zu trinken, das Gift der Tollkirsche. Doch sie starb nicht, weil sie robust wie ein Rind war, dafür wurde sie verrückt, gebärdete sich wie eine Wahnsinnige und hatte Visionen. Zum Beispiel sah sie meine Ziegen auf der Flöte blasen und die anderen niedergekniet zuhören. Oder sie sah den Steinmetz Jaco dal Cuch auf einem fliegenden Pferd durch den Himmel reiten oder auch Vögel ohne Flügel herumspazieren. Und dann sah sie ständig den wahrhaftigen Tod, der so betrunken war, dass er vergessen hatte, wen er heimsuchen sollte. Das ist die Wirkung der Tollkirsche; wenn du nicht gleich stirbst, bleibst du verrückt bis an dein Lebensende. Fortan lebte die Geliebte meines Bruders nun in einer Welt von bösen Geistern, und solange sie nur Visionen hatte, ging es ja noch. Aber es war eine Schande, als sie damit anfing, sich ihre Röcke hochzuziehen und allen zu zeigen, was darunter war. Daraufhin wurde sie festgenommen und in die Irrenanstalt nach Pergine bei Trient gebracht, weil es in derjenigen von Feltre, auf dem Weg nach Belluno, keinen Platz mehr gab, so vollgestopft mit Irren war die. Mein Bruder erzählte mir, dass man sie festbinden musste, weil sie immer verrückter wurde. Von der Tollkirsche gibt es keine Heilung, man bleibt für immer wahnsinnig. Bis zu der Nacht, als sie sich, fest ans Bett geschnallt, mit dem eigenen Betttuch strangulierte, das sich während der Krämpfe um ihren Kopf gewickelt hatte. Da waren drei Jahre vergangen, seitdem man sie eingeliefert hatte. Die arme Alba war so gut und so schön, bevor dieser Schurke ihr Tollkirsche verabreicht hatte. Aber jetzt kehre ich zum Anfang der Geschichte zurück.

Die erste größere Arbeit, die mein Bruder Bastianin bei Mano del Conte verfertigte, war das Eisenkreuz auf dem Grab unserer Mutter. Er war gerade zehn Jahre alt, als er es schmiedete, drei Jahre, nachdem er beim Schmied zu lernen begonnen hatte. Das Kreuz bestand aus zwei etwa drei Finger breiten Eisenblechstäben mit Schnecken an den Enden und einem Kranz aus Blättern rundherum, die wie Buchenblätter aussahen. Sie waren zwar etwas dürftig gefertigt, aber ich fand, es war ein schönes Kreuz. Mano del Conte ließ ihn alles
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