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Im Tal der Schmetterlinge

Titel: Im Tal der Schmetterlinge
Autoren: Gail Anderson-Dargatz
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weiterhin im Garten herumwerkelte und auf unserem Morgen Land in Chilliwack Hühner und Schafe hielt.
    Einige Monate nach seinem Schlaganfall hatte er aus Holz ein naturgetreues Abbild seiner schwieligen Hand geschnitzt und mir geschenkt. Eine Hand, die im Vergleich zu meiner eigenen beinahe doppelt so groß war. Der muskulöse Handrücken, die wulstige Narbe am Daumen, wo er sich beim Holzhacken geschnitten hatte. Die geschnitzte Hand fühlte sich genauso an wie Ezras echte, aus guten Tagen: rau, warm und
beschützend. Die Schnitzerei stand mit dem Handgelenk auf dem Holztisch, den ich zum Schreiben benutzte, einem Tisch, den Ezra für mich geschreinert hatte. Er hatte beides aus Kiefernholz gefertigt und unbehandelt gelassen, so dass es wirkte, als seien die Hand und der Tisch aus einem Guss, als wäre jemand in der Platte gefangen, im Holz ertrunken.
    Ein weiterer Hubschrauber, der mittels eines Seilzugs einen orangefarbenen Behälter mit sich führte, flog in unsere Richtung und dann über uns hinweg. Die Fensterscheiben bebten, und ich presste meine Hand gegen das Glas, um die Vibrationen zu spüren. Während des ganzen Vormittags waren Hubschrauber und Löschflugzeuge unaufhörlich hin- und hergeflogen, von Salmon Arm am Shuswap Lake, wo sie das Wasser aufnahmen, zurück zu unserem Tal, wo sie ihre Ladung über dem Feuer abwarfen. Zwei weitere Hubschrauber leerten gerade ihre Behälter über den Hügeln. Unten, am Fuß der Berge, rumpelte ein Lastwagen mit offener Ladefläche, auf dem ein Bulldozer transportiert wurde, über die Straße zum Feuer. Den Verkehr hatte man vom Turtle Valley umgeleitet, und nur den Anwohnern und Feuerwehrmännern war das Befahren der Blood Road gestattet. In entgegengesetzter Richtung des Lastwagens rollte eine Kette von Pick-ups mit den Habseligkeiten der Bewohner aus dem Tal.
    Meine Mutter löste den Blick vom Fernsehprogramm und stellte sich neben mich ans Fenster. »Mein Vater hätte das hier gehasst«, sagte sie. »Den ganzen Lärm. Man kommt sich vor wie im Krieg.« Eine Zeitlang starrte sie hinaus auf Judes Hof, Valentines Blockhütte und das unfertige Haus. Dann drehte sie sich zu mir um. »Jude hat gestern vorbeigeschaut und nach dir gefragt, kurz vor deiner Ankunft. Er hat von Val erfahren, dass du auf dem Weg hierher bist. Ich wollte es dir nicht in Ezras Gegenwart erzählen.«

    »Was wollte er?«
    »Da war … ich hätte es mir wohl besser aufschreiben sollen. Vermutlich will er, dass du ihn zurückrufst.«
    »Er hat eine Kiste von dir«, sagte mein Vater. »Beim Packen hat er sie im Keller gefunden.«
    Meine Mutter setzte sich zurück in ihren Schaukelstuhl. »Ja, eine Kiste, das stimmt.«
    »Ich kann mich nicht erinnern, etwas bei ihm zurückgelassen zu haben. Warum hat er sie nicht einfach mitgebracht, als er kam?«
    »Ich nehme an, er will dich wiedersehen«, sagte meine Mutter. »Val muss dir doch erzählt haben, dass Lillian fort ist.«
    »Wann?«
    »Letzten Winter. Sie ist nach Calgary gezogen. Ihre Mutter wohnt wohl dort.«
    »Und Andy?«
    »Er lebt bei Lillian«, sagte mein Vater und zeigte in Richtung seines Zimmers. »Hol mir doch bitte meine Geldbörse, ja? Und wenn du schon dabei bist, kannst du mir auch gleich meine Karten bringen.« Seine Börse und das Kartenspiel lagen auf dem Nachttisch, wo er die wenigen Gegenstände aufbewahrte, die allein ihm gehörten - sein Rasierer, das Klappmesser, die Mundharmonika, seine Brieftasche, das Kartenspiel. Das Bett war nun der Ort geworden, an dem er den größten Teil des Tages verbrachte.
    Als ich meinem Vater den Geldbeutel reichte, kramte er darin herum, bis er eine Visitenkarte fand. »Jude sagte, ich soll dir die hier geben. Er will, dass du vorbeischaust, wenn du seinen Pick-up in der Auffahrt siehst.«
    Ich betrachtete die Karte. Jude Garibaldis Töpferei. Gebrauchskeramik und Raku-Objekte. Außergewöhnliche Masken, Lampen, Vasen und Wandschmuck . Auf die Rückseite
hatte er seine Handynummer geschrieben. »Er versucht gar nicht mehr, seine Bilder zu verkaufen?«, wollte ich wissen.
    »Schon seit Jahren nicht mehr«, sagte mein Vater. »Da ist kein Geld mit zu machen.«
    »Aber er kommt zurecht?«
    »Es hat Jude ziemlich mitgenommen, als Andy sich entschieden hat, bei Lillian zu wohnen. Alle paar Wochen fährt er hoch, um den Jungen zu besuchen. Deshalb sehen wir in letzter Zeit auch nicht mehr viel von ihm. Er ist ständig drüben in der Werkstatt oder beim Brennofen und arbeitet wie ein Besessener. Schon
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