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Im Tal der Schmetterlinge

Titel: Im Tal der Schmetterlinge
Autoren: Gail Anderson-Dargatz
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seit Längerem geht er nicht mehr zu den Tanzveranstaltungen im Gemeindehaus.« Mein Vater seufzte. »Aber ich ja auch nicht.«
    Die uralte Haustür mit dem Fliegengitter öffnete sich knarzend, und ich schob die Visitenkarte in die Vordertasche meiner Jeans. Als Ezra eintrat, sprang meine Mutter aus ihrem Schaukelstuhl auf, wie ein Kind, das bei etwas Verbotenem ertappt wurde. »Ich sollte weiterpacken. Möchtest du einen Kaffee?«
    Doch Ezras Aufmerksamkeit war von den flackernden Fernsehbildern gefangen, wo Judge Judy gerade jemandem eine Standpauke hielt.
    »Ezra?«, sagte ich. »Mom hat gefragt, ob du einen Kaffee willst.«
    »Nein, danke. Der Tag brennt.«
    Seit dem Schlaganfall beschrieb Ezra seine Welt mit Bildern und weniger mit gängigen Formulierungen. »Du meinst, es ist heiß«, sagte ich und nannte ihm die richtigen Worte, wie es mir Ezras Sprachtherapeut in den ersten Monaten seiner Genesung aufgetragen hatte, um ihn beim Wiedererlangen seiner Sprachfähigkeit zu unterstützen.

    »Ja.« Doch seine Augen waren starr auf den Fernseher gerichtet.
    »Wäre es vielleicht möglich, den Fernseher für eine Weile auszuschalten?«, fragte ich meine Mutter.
    »Gus schaut doch so gern Judge Judy«, erwiderte sie.
    »Stimmt gar nicht«, sagte er. »Das ist deine Sendung.«
    »Ezra kann sich nicht gut auf unsere Unterhaltung konzentrieren, wenn der Fernseher läuft«, sagte ich. Einmal hatte er mir das Gefühl beschrieben. Er glaubte, in solchen Situationen von dem Geräusch regelrecht bombardiert zu werden, als würden Hunderte hartnäckiger Kinderhände an seinem Hemdzipfel reißen, die alle gleichzeitig seine Aufmerksamkeit einforderten. »Alle rufen dann: Schau mich an! Das ist wichtig! «, hatte er mir erklärt.
    Meine Mutter spielte nervös mit ihrer Teetasse, während ihr Blick zu Ezra glitt. »Es gibt Limonade im Kühlschrank, wenn du willst.«
    »Ezra?«, sagte ich.
    »Was?«
    »Es gibt Limonade im Kühlschrank, wenn du willst. Gläser sind drüben bei der Spüle.« Doch er lehnte sich gegen die Küchenzeile, wie gebannt von Judge Judy.
    Ich stand auf und goss Ezra, Jeremy und mir Gläser ein und stellte sie auf den Tisch. »Vielleicht solltest du dich dort drüben hinsetzen, damit du nicht direkt in den Fernseher schauen musst. Und dich an unserer Unterhaltung beteiligen kannst.« Als er immer noch nicht reagierte, nippte ich an meiner Limonade und beobachtete einen Hubschrauber, der für eine weitere Fuhre aus dem Tal verschwand. Rasensprenger berieselten den Bereich um Judes Werkstatt und das Farmhaus. Der Wind wehte das Wasser über den Hof. Aber es gab kein Anzeichen von Jude, obwohl sein Pick-up und der Chevrolet
Impala in der Einfahrt standen. Wahrscheinlich schlief er noch, nachdem er bis spät in die Nacht gearbeitet hatte, so wie es vor einem Töpfermarkt seine Angewohnheit war.
    »Er schläft«, sagte Jeremy.
    »Wer?«
    »Der Mann da.« Er zeigte auf Judes Haus.
    Ich legte meinem Sohn eine Hand auf die Schulter und blickte zu Ezra, um herauszufinden, ob er zuhörte, doch er war völlig in den Fernseher versunken. Ich wusste nicht, was ich von den kleinen Rissen halten sollte, die mein Sohn in das Netz meiner Realität schlug - und dann meine Gedanken las. Ich hatte mit keiner anderen Mutter darüber gesprochen, noch nicht einmal mit Ezra, obwohl ich wusste, dass es auch ihm aufgefallen war, da er bei solchen Gelegenheiten wie eben oft überrascht die Augenbrauen hob.
    Auf dem Feld, das Valentines alte Blockhütte umgab, lief ein hinkendes Kalb weit abgeschlagen hinter der kleinen Herde meiner Eltern her. Die Mutter des Kalbs blökte aus der Ferne und versuchte es anzutreiben. »Was ist mit dem Kalb los?«, erkundigte ich mich bei meinem Vater.
    »Etwas stimmt nicht mit den Bändern in seinem Vorderbein. Eine angeborene Sache. Ich wollte das Tier schon die ganze Zeit über notschlachten. Aber jetzt kann ich das verdammte Haus nicht mehr verlassen. Ich muss etwas tun, bevor die Polizei kommt und uns von hier vertreibt.«
    »Ich werde es tun«, sagte Ezra.
    »Was ist mit Ernie?«, fragte ich meinen Vater.
    »Ernie?«, fragte Ezra.
    »Ihm gehört die Metzgerei drüben in der Fredrickson Road.«
    »Ich bezweifle, dass er sich auf die Schnelle darum kümmern kann«, sagte mein Vater. »In guten Zeiten muss man
ihm eine Woche vorher Bescheid geben, und bei dem Feuer, das gerade wütet, werden viele Leute ihre Tiere zum Schlachten bringen, damit sie kein neues Weideland für sie finden
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