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Im Schattenwald

Im Schattenwald

Titel: Im Schattenwald
Autoren: Matt Haig
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spiegelte.
    Was ist das? , fragte er sich.
    Bevor er Zeit hatte, weiter darüber nachzudenken, hörte er erneut die Stimme der Trollmutter.
    »Gib mir das Auge. Lass mich das Schätzchen anschauen. Komm schon, du nichtsnutziger Trampel, gib mir das Auge!«
    »Ist schon unterwegs«, entgegnete der Trollvater und steckte seine Finger in die Augenhöhle.
    Samuel hörte ein schmatzendes Geräusch, als das Auge herausgezogen wurde.
    »So, Trollmutter, da hast du es. Hier ist …«
    Die Stimme des Trollvaters brach ab, während kräftige Flügelschläge zu hören waren. Im selben Moment lösten sich sowohl seine Hand als auch die der Trollmutter von Samuels Fell. Samuel blickte auf und sah …
    Was sah er?
    Ein Wunder.
    Als der Trollvater seiner Frau das Auge reichen wollte, flog ein Vogel dicht an seinem Gesicht vorbei. Es war derselbe Vogel, der Samuel die ganze Zeit über gefolgt war. Der mit den blauen Federn, der ihn sogar im Tunnel besucht hatte.

    »Ah, verdammt, hau ab, du Mistvieh!«, schimpfte der Trollvater, während er die Federn in seinem Gesicht spürte.
    Dann sah Samuel, wie ihm das Auge aus der Hand fiel, auf dem Tisch landete und in eine Ecke rollte.
    »Jetzt hab ich’s verloren«, sagte der Trollvater. »Ich hab das Auge fallen gelassen … Da war ein Vogel …«
    Die Trollmutter fing an zu schreien: »Du nichtsnutziger, haariger Tollpatsch! Dann such es eben, worauf wartest du noch?«
    »Immer mit der Ruhe«, sagte der Trollvater, während er den Tisch abtastete. Fast hätte er es gefunden, wenn nicht in diesem Moment der Vogel gekommen, es zwischen seine Krallen genommen und mit ihm fortgeflogen wäre.
    »Und?«, fragte die Trollmutter. »Hast du’s endlich gefunden?«
    »Ich … äh … irgendwo muss es doch sein.«
    Während der Trollvater nach dem Auge suchte, suchte die Trollmutter nach Samuel.
    »Komm, mein Hase«, sagte sie, während ihre Hände wie Krebse über den Tisch wanderten. »Na, wo bist du, mein Kleiner? Komm zu Trollmutter.«
    Samuel brachte sich, so schnell er konnte, vor den Händen in Sicherheit, hatte mit drei Sätzen die Tischkante erreicht und starrte in die Tiefe.
    »Spring!«, forderte er sich auf. »Na, spring schon! Tu’s einfach!«
    Er spürte einen Finger an seinem Fell. Samuel schloss die Augen. Er erinnerte sich daran, wie ihn sein Vater im Schwimmbad immer auf das höchste Sprungbrett mitgenommen hatte. Doch er hatte sich nicht getraut zu springen. Jetzt blieb ihm keine Wahl. Er musste all seinen Mut zusammennehmen.
    Mit geschlossenen Augen sprang er ins Leere. Es schien eine Ewigkeit zu dauern, bis er den Boden erreichte.

    Rums!
    Die Landung tat weh, doch er konnte immer noch laufen. Was er auch tat, und zwar so schnell er konnte - nur weg von den blinden Trollen, die immer noch nach dem verschwundenen Hasen und ihrem Augapfel tasteten.
    Samuel hoppelte zur anderen Seite des Hauses und sah den Vogel auf das Hasengehege zufliegen.
    Wären seine Augen ein wenig besser gewesen, dann hätte er gesehen, wie der Vogel das Auge genau in das Loch fallen ließ, das Samuel zuvor gegraben hatte - mit ungehinderter Sicht auf die funkelnden Sterne und den leuchtenden weißen Mond darüber.

Die Rückkehr des Elchhunds
    P rofessor Tanglewood hatte sich gerade selbst eine Geburtstagskarte geschrieben, als die Schattenhexe mit Neuigkeiten zu ihm kam.
    »Nun, hast du deinen Auftrag erfüllt?« Der Professor musterte die Schattenhexe, doch sie schaute ihm nicht in die Augen. Er begann, sich schon zu sorgen, dass sie die beiden Kinder womöglich nicht gefunden hatte.
    »Ja, Meister. Die Menschen sind verändert.«
    »Und in was, wenn du mir die Frage gestattest?« Die Erleichterung war dem Professor deutlich anzumerken. Seine Frage hatte ausgelassen, beinahe übermütig geklungen.
    »In einen Vogel. Und einen Hasen.«
    »Einen Hasen!« Der Professor schien zunächst erschrocken. »Wer? Der Junge oder das Mädchen?«
    »Der Junge, Meister.«
    »Was für eine geniale Idee! Und was für ein wundervolles Geburtstagsgeschenk für mich! Das wird er nicht lange überleben.«
    Sie sah ihm jetzt direkt in die Augen, doch er konnte ihren Ausdruck nicht deuten. In ihre schwarzen Augen zu schauen, war wie in einen tiefen Schacht zu blicken.
    »Er war nicht allein«, sagte sie.
    »Der Junge?«
    »Ja. Ein Hund hat ihn begleitet.«

    »Ein Hund? Was für ein Hund?«
    »Ein Elchhund.«
    Professor Tanglewood riss ungläubig die Augen auf. »Nein!«
    Die Schattenhexe schien mit einem Mal zu bereuen,
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