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Im Schattenwald

Im Schattenwald

Titel: Im Schattenwald
Autoren: Matt Haig
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trotzdem nicht übel … zumindest weniger gefährlich als die Pixiesuppe.«
    »Oh«, entgegnete Samuel verlegen, der sich daran erinnerte, wie schlecht er Ibsen anfangs behandelt hatte. »Gern geschehen.«
    Tante Eda schien etwas auf der Zunge zu liegen, als sie ein leises Geräusch wahrnahm. Ein Geräusch, das den Wald seit vielen Jahren nicht mehr erfüllt hatte.
    Onkel Henrik hatte es auch gehört. Es klang wie ein seltsamer Singsang, der aus großer Ferne zu ihnen kam. »Ich
weiß, was das ist«, sagte er. »Ich habe es vor vielen Jahren gehört, als ich in den Wald ging. Das sind die Gesänge der Huldren zu Ehren der Sonne. Sie müssen alle in ihr Dorf zurückgekehrt sein.«
    Martha riss entsetzt den Mund auf. »Huldren?«
    Tante Eda war verwirrt. »Aber Huldren gehen doch nicht in die Sonne.«
    »Früher haben sie es getan«, entgegnete Onkel Henrik. »Bevor alles verändert wurde.«
    Samuel ließ seinen Blick über die Bäume schweifen, die die Lichtung säumten. Sie sahen nicht mehr böse oder bedrohlich aus, sondern ruhig und friedlich - genauso wie Bäume aussehen sollten.
    Onkel Henrik nickte. »Der Wald ist wieder ein Paradies geworden«, sagte er. Eine Weile schienen alle zu überlegen, was das bedeutete.
    »Wir könnten hier in Frieden leben und gefahrlos die köstliche Pixiesuppe essen«, sagte Tante Eda, der bei diesem Gedanken das Wasser im Mund zusammenlief.
    »Wir könnten jeden Tag den lustigen Liedern der Tomtegubbs zuhören«, fügte Martha hinzu.
    »Und es uns jede Nacht auf den Bauchkissen der Slemps gemütlich machen«, ergänzte Samuel, der immer noch ziemlich müde war.
    In diesem Moment sah er dort, wo der Professor gestorben war, ein zerfleddertes Buch auf der Erde liegen. Die Geschöpfe des Schattenwalds. Das Buch, das ihn beinahe zerquetscht hätte. Wie merkwürdig, daran zu denken, dass sich die Wesen wieder verändert hatten und ihre Beschreibung im Buch nur mehr wie ein Märchen anmutete.
    »Und«, sagte Onkel Henrik, »was sollen wir jetzt tun?«
    Tante Eda dachte nach. »Das Paradies ist kein bestimmter Ort«, sagte sie. »Das Paradies sind die Menschen, die ihr Leben
mit dir teilen. Wenn ich bei euch bin - bei euch allen -, dann bin ich glücklich, egal wo das ist.«
    Tante Eda sah die beiden Kinder an. »Samuel? Martha? Wollt ihr , dass wir alle im Wald bleiben?«
    »Was meinst du?«, fragte Samuel seine Schwester.
    Martha runzelte die Stirn, als müsste sie eine schwierige Rechenaufgabe lösen. Auf der einen Seite der Gleichung standen singende Tomtegubbs … und auf der anderen?
    »Ich will nach Hause«, sagte sie schließlich.
    »Ich auch«, sagte Samuel.
    »Nach Hause?« Tante Eda war sich nicht sicher, welches Zuhause sie meinten.
    »Zu dir«, sagte Samuel. »Und Onkel Henrik.«
    »Ihr wollt also wirklich zur Schule gehen«, fragte Tante Eda, »und stinkenden braunen Käse essen?«
    Das war ein gewichtiger Einwand und Samuel dachte eine Weile darüber nach.
    Dann erinnerte er sich an die Worte seines Vaters: »Das Glück kann man überall finden, mein Sohn, solange man nur beharrlich nach ihm sucht.« Vielleicht war es schwieriger, das Glück an einer fremden Schule mit braunem Käse zum Frühstück zu finden als in einem magischen Wald, doch er wollte es versuchen.
    »Ja«, sagte Samuel, »lass uns nach Hause gehen.«

    Und so machten sie sich auf den Heimweg, begegneten tanzenden Pixies, harmlosen Spechten, schlafenden Slemps und singenden Tomtegubbs. Gemächlich spazierten sie Trollhelm entgegen. Im Steinhaus der Trollfamilie, die Samuel kennengelernt hatte, schienen alle zu schlafen, vollkommen unwissend, dass sich der Wald wieder verändert hatte.
    Sie durchquerten das Dorf der Huldren, in dem lächelnde Geschöpfe Sonnen-Skulpturen schnitzten und die Sonne besangen.
In diesem Moment wusste Samuel, dass sie ihm nie mehr im Traum erscheinen würden.
    Als sie den Waldrand erreichten, sagte Tante Eda: »Seid ihr auch ganz sicher, dass ihr den Wald wirklich verlassen wollt? Denn wenn wir wieder zu Hause sind, müssen wir alles, was wir hier erlebt haben, für uns behalten. Versteht ihr das?«
    »Ja«, antworteten Onkel Henrik, Samuel und Martha wie aus einem Mund. Sie klangen wie Gläubige beim Gebet. »Das verstehen wir.«
    Sie zögerten nur kurz, ehe sie aus dem Schatten der letzten Kiefern traten. Dann fiel ihr Blick auf das weiße Holzhaus, die Auffahrt, die Wäscheleine. In der Ferne konnten sie den Fjord, die Berge und die Straße nach Flåm erkennen. Tante Eda nahm
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