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Im Schattenwald

Im Schattenwald

Titel: Im Schattenwald
Autoren: Matt Haig
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Veränderer wusste, wie ihm geschah, hatte ihm Samuel ein Hewlipblatt in den Mund gestopft.
    »Neiiiin!«, stöhnte der Veränderer, während der letzte Schatten seinen Mund verließ.
    »Das darf nicht …«
    »Weg! Schnell weg!«, schrie Samuel.
    Tante Eda, Martha, Ibsen und Samuel rannten davon und drehten sich nicht um, ehe sie ein fürchterliches Krachen hörten, als der zum Veränderer gewordene Professor hinter ihnen explodierte. Ein Geräusch, das in Samuels Ohren wie Triumph und Tragödie zugleich klang.

Onkel Henriks Rückkehr
    M artha! Samuel!«
    Tante Eda streckte ihnen die Arme entgegen, wie sie es damals auf dem Flughafen getan hatte, doch diesmal ließ sich Samuel willig in die Arme schließen. Er hielt sie ganz fest und spürte etwas, das er seit dem Tod seiner Eltern nicht mehr gespürt hatte. Er fühlte sich voll bis zum Rand, wie ein Glas Limonade. Er wusste nicht genau, woran das lag, doch er vermutete, es war das Gefühl, geliebt zu werden.
    »Du bist uns gefolgt«, sagte er. »Du bist uns gefolgt, um uns zu retten.«
    Tante Eda drückte beiden Kindern einen Kuss auf den Kopf und versuchte, die Tränen zurückzuhalten. »Ja, äh, natürlich … Was hätte ich denn sonst tun sollen? Aber sagt mir erst mal, seid ihr in Ordnung?«
    »Ja«, sagte Samuel.
    »Ja«, bestätigte Martha, und es war dieses lang ersehnte Ja, das Tante Edas Augen mit Tränen füllte.
    »Oh, Kinder, ich habe mir solche Sorgen um euch gemacht.«
    »Das tut mir leid«, sagte Martha.
    Tante Eda wischte die Entschuldigung beiseite. »Du konntest doch nicht wissen, was im Wald geschehen würde. Es ist nicht deine Schuld.«
    Samuel drehte sich um und erblickte den Speer, der im
Boden steckte. Das Hewlipblatt war so explosiv gewesen, dass vom Veränderer nichts übrig geblieben war.
    »Wie bist du hierhergekommen?«, fragte er seine Tante.
    »Ich hatte ein Armband. Das Armband einer Hexe«, antwortete sie, indem sie ihm das Stoffband mit der Zinnscheibe zeigte, das sie an ihrem Handgelenk trug. »Es ist sehr nützlich. Es hat mich beschützt. Und dann habe ich Ibsen am Wegesrand gesehen«, sagte Tante Eda. »Er hat mich hierher geführt.«
    Martha erinnerte sich daran, was ihr die Schneehexe über das Armband erzählt hatte. Sie fragte sich, ob es dasselbe war. Doch dann ging ihr plötzlich etwas anderes durch den Kopf. »Wo ist er eigentlich?«, fragte sie. »Wo ist Ibsen?«
    »Oh, nein!«, rief Tante Eda, während sie sich hektisch umschaute. »Ibsen? Ibsen, wo bist du? Wo …?« Dann schnappte sie plötzlich nach Luft. Ihre Augen weiteten sich ungläubig. »Aber … aber das kann doch nicht … ich fantasiere …«
    Vor ihr stand ein groß gewachsener Mann und lächelte sanft.
    Samuel schaute ihn an und erkannte den Mann wieder, den er auf den Fotos gesehen hatte. Den Mann, der auf Skiern durch die Luft geflogen war. Den Bart. Das Lächeln. Die Augen. Er sah älter und grauer aus, doch es bestand kein Zweifel.
    »Onkel Henrik …« Der Name kam aus Samuels Mund wie ein Flüstern.
    Onkel Henrik sagte etwas auf Norwegisch zu Tante Eda, der immer noch der Mund offen stand. Dann wandte er sich an die Kinder.
    »Hallo, Martha. Hallo, Samuel.« Er hatte einen liebenswürdigen Akzent, der seine Worte dahinschmelzen ließ wie Butter auf warmem Toast. »Ja, ich bin es wirklich, euer Onkel Henrik.«

    »Wo bist du gewesen?«, fragte Tante Eda, die ihr Gesicht befühlte, um sicherzugehen, dass sie nicht träumte. »Hast du dich etwa in diesem schrecklichen Wald vor mir versteckt? Hab ich etwas falsch gemacht?«
    »Nein, du hast nichts falsch gemacht. Und ich habe mich auch nicht versteckt. Ich war die ganze Zeit an deiner Seite.«
    Tante Eda waren seine Worte ein Rätsel.
    Onkel Henrik zeigte auf den Speer und die Stelle, wo der Veränderer gewesen war. »Er hat mir erlaubt, den Wald wieder zu verlassen. Aber er hat mich verwandelt. Vor vielen, vielen Jahren. Er machte einen Elchhund aus mir. Ich nahm also eine andere Gestalt an, aber ich war immer noch ich. Ich habe mein Versprechen gehalten. Ich bin zu dir zurückgekehrt.«
    »Ibsen …«, sagte sie.
    Onkel Henrik wischte eine Träne von ihrer Wange. »Ich war in all den Jahren immer an deiner Seite.«
    »In all den Jahren …«, echote Tante Eda, die eine gewisse Trauer in ihrer Stimme nicht verbergen konnte.
    Sie schwiegen eine Weile, ehe Onkel Henrik zu Samuel sagte: »Übrigens vielen Dank für den Käse. Er war vielleicht nicht ganz so exzellent wie der Goldmedaillenkäse, aber
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