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Im Schattenwald

Im Schattenwald

Titel: Im Schattenwald
Autoren: Matt Haig
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dass sie ihm diese Information gegeben hatte. »Ich glaube, Ihr müsst Euch keine …«
    Der Professor brachte sie mit einer Handbewegung zum Schweigen. Er holte tief Luft, als müsse er diese Nachricht ganz in sich aufsaugen, um sie richtig zu begreifen. »Er muss ihnen etwas erzählt haben.«
    »Meister?« Die Schattenhexe verstand ihn nicht.
    »Der Elchhund muss sie in den Wald geführt haben.«
    »Aber Meister, das ergibt doch keinen Sinn. Warum sollte er das tun? Warum sollte er freiwillig zurückkehren? Warum die Kinder in Lebensgefahr bringen? Und wie soll überhaupt ein Hund einem Menschen irgendwas erzählen können?«
    Der Professor verscheuchte die Einwände der Schattenhexe wie lästige Fliegen. »Unsere Vorsichtsmaßnahmen reichen nicht mehr aus. Wir müssen uns neue Gedanken machen, was mit Menschen geschehen soll, die in den Wald eindringen.«
    »Wenn wir die Menschen in Tiere verwandeln, Meister, dann wird der Wald für immer …«
    »Sicher sein? Wie kannst du nur so etwas behaupten, wenn das Gegenteil der Fall ist? Wir verwandeln einen Menschen in einen Hund, und was passiert? Der Hund bringt noch mehr Menschen in den Wald.«
    »Aber, Meister, wir wissen doch nicht …«
    »Schweig! Du bist nicht hier, um mir Fragen zu stellen. Du bist hier, um mir zu gehorchen. Ich habe dein Leben gerettet. Ich habe dein Leben gerettet ! Der Hek-Kodex. Du erinnerst dich doch an den Hek-Kodex, nicht wahr?«

    »Natürlich, Meister. Ich bin eine Hexe. Der Kodex ist, was ich bin.«
    Er stand von seinem Schreibtisch auf. »Sehr schön, dann musst du also meinen Befehlen gehorchen.«
    »Und was befiehlt Ihr mir, Meister?«
    »Ich will, dass du die beiden Kinder tötest. Das Mädchen ebenso wie den Jungen.«
    Es entstand eine Pause - eine lange Pause -, ehe die Schattenhexe sagte: »Ich verstehe.«
    Der Professor schüttelte den Kopf. »Nein …«
    »Meister?«
    Er schaute sie an und entdeckte einen neuen Ausdruck in ihren dunklen, funkelnden Augen. Ein Ausdruck, dem er nicht traute.
    »Gib mir das Hek-Armband.«
    »Mein Hek-Armband, Meister? Wollt Ihr die Lichtung verlassen? Braucht Ihr es deshalb? Um Euch zu schützen?«
    »So ist es«, log der Professor. »Jetzt gib mir das Armband.«
    Die Schattenhexe streifte das Armband widerwillig von ihrem grauen Handgelenk und händigte es ihrem Meister aus.
    »Jetzt verleih mir deine Zauberkraft!«, befahl er.
    »Meister?« Sie glaubte, sie habe nicht richtig gehört.
    »Ich habe dir befohlen, mir deine Zauberkraft zu verleihen.«
    »Aber, Meister. Meine Zauberkraft ist eine Bürde, mit der Ihr Euch nicht belasten solltet.« Sie warf einen Blick auf die Geburtstagskarte, die er sich selbst geschrieben hatte, und empfand einen tiefen Hass auf ihren Meister.
    Professor Tanglewood atmete tief ein und schloss die Augen. »VERLEIH-MIR-DEINE-ZAUBERKRAFT!«
    Die Schattenhexe dachte an ihre Schwester, die im Käfig verendet war, und fühlte eine neue Kraft in sich.
    »Ich kann nicht, Meister.«

    Der Professor öffnete die Augen und schaute die Schattenhexe mit einem neuen Blick an. »Du … kannst nicht? Was ist mit dem Hek-Kodex? Er ist die Grundlage deiner Existenz. Mein Wort ist dir Befehl.«
    »Es gibt etwas, das mächtiger ist als der Hek-Kodex, Meister. Etwas, das schon in mir begraben war, nun aber neu geboren wurde.«
    Der Professor öffnete ungläubig den Mund. »Dann sag mir, was so mächtig ist, dass es sogar den Hek-Kodex außer Kraft setzt.«
    Die Schattenhexe zögerte, als könne sie selbst nicht glauben, dass sie ihrem Meister Widerstand leistete. »Es ist die Liebe zu meiner Schwester.«
    »Deine Schwester ist tot.«
    Sie nickte. »Ich weiß. Aber meine Liebe zu ihr ist lebendiger als je zuvor.«
    »Ich verstehe das nicht. Was hat deine Schwester mit der ganzen Sache zu tun?«
    Die Schattenhexe vergoss weitere schwarze Tränen. »In Eurem Namen habe ich schreckliche Dinge getan. Entsetzliche Dinge. Ich habe das Paradies in einen Albtraum verwandelt. Aber damit ist es jetzt vorbei. Ich kann Euch meine Zauberkraft nicht geben … es tut mir leid.«
    Als sie zu Ende gesprochen hatte, fiel ihr Kopf auf die Brust, als hätten die Worte ihn aufrecht gehalten. Sie drehte sich um, ging an den eingelegten Köpfen vorbei und verließ den Raum. Sie durchquerte das fensterlose Zimmer, passierte das Skelett des Huldren, den sie hatte töten müssen, und strebte auf die Tür des Baumhauses zu. Sie war so in ihren düsteren Gedanken befangen, dass sie nicht hörte, wie der Professor
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