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Im Schatten meiner Schwester. Roman

Titel: Im Schatten meiner Schwester. Roman
Autoren: Barbara Delinsky
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Achterbahn. Ich sehe es eher als Wellenreiten. Du bist da draußen auf deinem Brett, und alles ist ruhig …«
    »Moment mal«, unterbrach sie ihn. »Du hast doch noch nie gesurft.«
    »Aber doch«, beharrte er in aller Unschuld. »Nun ja, ich hab’s probiert. Ich war nie besonders gut darin, aber ich habe die Strömung erwischt. Du bist da draußen auf dem großen Ozean und sitzt auf deinem Brett. Das Wasser ist glatt, aber das täuscht. Du weißt, die Wellen bewegen sich, und du beobachtest und wartest, und plötzlich spürst du diese kleine Verschiebung unter dir. Du stehst auf. Du taumelst, aber du gewinnst das Gleichgewicht wieder, dann gibst du dich etwas hin, was viel größer ist als du. Du hast keine Kontrolle. Du reitest einfach mit, wirst so schnell das Wasser hinuntergezogen, dass es dir den Atem raubt. Dann ist es vorbei. Wieder glattes Wasser.«
    Molly war sich immer noch nicht sicher, dass er jemals gesurft hatte, doch der Vergleich ließ ihren Geist klarer werden. Der Ozean war wie die Erde besänftigend.
    Sie umarmte ihn. »Ich liebe dich.« Seine Arme antworteten ihren Worten. Als sie losließ, atmete sie tief ein. »Ich … gehe nach draußen«, sagte sie und zeigte mit dem Kinn zur Tür, die vom Arbeitszimmer in den Garten führte.
    »Brauchst du Gesellschaft?«
    Sie schüttelte den Kopf und küsste ihn auf die Wange. Dann ging sie hinaus. Sie musste nicht weit gehen. Ihren Eltern gehörten viele Hektar hier, aber der Rasen selbst war nicht groß. Das Gras war über die Narben gewachsen, die die Schaukeln hinterlassen hatten. Doch sie sah die Schaukeln nun hinter einem großen Ahornbaum, den sie als Kinder angezapft hatten. Sie erinnerte sich daran, wie Robin das jämmerliche bisschen Saft rührte, das sie abgezapft hatten, während es zu Sirup verkochte. Robin konnte nicht älter als zehn gewesen sein, Chris sieben, Molly fünf. Molly probierte immer als Erste den süßen, dicklichen Saft, leckte ihn von dem großen Holzlöffel, den ihr ihre Schwester voller Stolz anbot.
    Und die Schaukeln? Robin schob sie in den kleinen Sitz, bevor sie alt genug für die Schaukel für große Kinder war. Robin, die ihre Beine hielt, während sie über das Gerüst kletterte. Robin, die die Arme unten an der Rutsche ausstreckte, um sie aufzufangen.
    Sirup, Schaukeln und Rutschen. Vasen, Haarspangen, Pullover. Selbstvertrauen. Ein Haus. Robin hatte sie geliebt. Als ihr das
     klarwurde, empfand Molly Demut.
    Sie musste nun dort sein, wo sie sich am stärksten fühlte, und nahm ihre Schlüssel aus der Tasche.
    »Wohin gehst du?«, erklang eine leise Stimme hinter ihr.
    Ohne sich umzudrehen, lächelte sie. David. »Ich muss mich ein wenig erden«, sagte sie.
    »Noch mal bitte?«
    Sie drehte sich um. »Ich war heute noch nicht im Gewächshaus. Ich bin sicher, dass alles in Ordnung ist, andere Leute haben gegossen, aber ich brauche meine Pflanzen.«
    »Kann ich dich hinfahren?«
    Sie hielt die Schlüssel hoch. »Habe mein eigenes Auto.«
    Doch er schüttelte den Kopf, rasch und sicher. »Du solltest nicht allein sein.«
    Sie würde nicht allein sein. Ihre Pflanzen würden dort sein. Und ihre Katzen.
    Aber wenn das Gewächshaus es war, das sie bei Verstand hielt, musste David es sehen.
     
    Alles war ruhig. Die Sonntagsöffnungszeit war vorbei, und die Angestellten hatten abgeschlossen. Molly sperrte eine Seitentür auf und führte David hinein. Die Luft war nun kühler. In ein paar Wochen würde in der Morgendämmerung Frost auf den Scheiben liegen. Er würde mit der Sonne schmelzen, doch dichter wiederkehren, während die Tage kürzer wurden und die Luft frisch. Doch die Veränderungen gingen weit über verblassende Blätter und geerntetes Obst hinaus. Mit dem Ende einer Jahreszeit kam das Versprechen einer anderen.
    Wie ihr Vater auf seiner Welle war Molly bereit für den Ritt.
    Lass alles langsamer werden, rief eine verängstigte kleine Stimme. Also zog sie einen Sack aus der Vorratsecke und vergrub die Hände darin. Sie sagte nichts, arbeitete sich nur mit den Fingern durch die kühle Erde. Egal, was die Zukunft bereithielt, ob Molly Snow Hill übernahm oder beschloss, etwas ganz anderes zu machen, das hier würde es immer geben.
    Als sie sich endlich besser fühlte, sah sie auf. »Zu viel, zu schnell. Ich habe das gebraucht.« Als sie ihre Hände herauszog, war jeder Nagel mit Schmutz bedeckt. »Wenn du dir etwas Hübsches erhofft hast, muss ich dich enttäuschen.«
    »Ich bin nicht enttäuscht.«
    Und Molly auch
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