Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Im Schatten des Pferdemondes

Im Schatten des Pferdemondes

Titel: Im Schatten des Pferdemondes
Autoren: Evita Wolff
Vom Netzwerk:
langer Schweif peitschte die Flanken.
    »Bring uns von hier weg«, sagte Eric beschwörend zu dem Hund, der noch immer wedelnd vor ihnen stand. Er konnte förmlich spüren, wie aller Augen im Haus auf ihn gerichtet waren, es war unerträglich. Er mußte allein sein, wünschte nur den Kontakt mit Geschöpfen, die ihn nicht täuschen würden.
    Tiere täuschen dich nicht. Wenn sie dich hassen, dann zeigen sie es unumwunden, und wenn sie dich lieben, ebenso. Tiere berechnen nicht, sie wenden keine Tricks an, es sei denn, sie haben sie von den Menschen gelernt.
    »Halten Sie sich besser von dem Hund da fern!« rief unvermittelt eine schrille Stimme. Der grelle Ton traf Mann, Pferd und Hund gleichermaßen. Der Hund duckte sich und wimmerte in Abwehr, der Hengst warf den Kopf hoch, scheute und hatte plötzlich blutfarbene Nüstern und zitternde Flanken. Eric drückte ihn mit einer leichten Bewegung nach unten, schüttelte wie betäubt den Kopf und blickte suchend am Haus hoch.
    Im oberen Stock wurde hastig ein Fenster geschlossen. »Bring uns weg, zeig uns einen Ort, wo wir allein sein können«, wiederholte Eric, und der Hund erhob sich, sah zu ihm hoch, bellte kurz und lief voraus. Ohne Aufforderung folgte ihm Lance.
Der Hund stürzte sich in das hohe Gras und verschwand beinahe unter den Halmen. Eric wurde klar, daß sie einer der schmalen Fährten folgten, die zum Meer führten. Dann senkte sich der Boden, das Gras war hier ganz kurz, ein dichter, grüner Teppich, durchsetzt von einer nie gekannten, kaum vorstellbaren Vielfalt von Blumen; eine Fülle von Farben, Formen und Düften, die die Sinne nur langsam zu erfassen vermochten: die marchairs. Benommen drehte er sich nach dem Haus um und stellte zu seiner Erleichterung fest, daß er es nicht mehr sehen konnte – der Hund hatte sie auf einen Ausläufer der Felsen geführt, die unmittelbar in den Atlantik stießen. Eric glitt von Lances Rücken, stand still und begegnete dem Blick des Hundes, vor dem man ihn eben gewarnt hatte. Waren diese Augen kalt, tückisch? »Sicher hast du einen Namen.« Der Hund kam ein wenig näher, blieb abwartend stehen, wedelte schwach. »Ich weiß deinen Namen nicht«, fuhr Eric fort und streichelte Lances Kopf, der sich ihm zuwandte. »Ich würde dich Wolf nennen, denn du siehst aus wie ein Wolf in der Blüte seines Lebens. Darf ich dich Wolf nennen?«
Der Hund kam langsam näher, seine Blicke glitten zwischen dem hohen, starken Pferd und dem Mann mit der sanften, einnehmenden Stimme hin und her. Er zögerte.
»Wolf«, sagte Eric leise und streckte die Hand aus, so tief, daß sie bestenfalls die Schulter des Hundes erreichen würde: Hunde, die einem Fremden begegnen, wollen nicht von oben angefaßt werden. Die Hand, die sie erreichen will, muß tiefer als in Höhe ihrer Schnauze angeboten werden, als eine Geste, die um Vertrauen bittet. Der Hund machte die letzten Schritte, kam zu ihm, ließ sich berühren, dann drängte er seine Wärme und seinen üppigen Pelz an ihn, schmiegte sich auch an Lance, der ihn seinerseits interessiert beschnupperte. Das war ein gutes Zeichen, dachte Eric. Wenn der scheue Lance ein Wesen in seiner Nähe zuließ, konnte es nicht schlecht sein. Und hatte Wolf sie nicht an diesen gesegneten Flecken geführt?
Einmal hatte ihm ein Studienkollege neidisch gesagt: »Ich frage mich, wie du den Viechern immer gleich so nahe kommen kannst. Ein Pferd ist dafür bekannt, auszuschlagen und zu beißen – und du gehst in die Box, und es ist sanft wie ein Lamm. Ein aggressiver Hund, vor dem alle einen Heidenrespekt haben, frißt dir aus der Hand. Eine Katze, die jeden kratzen und beißen möchte, ebenso. Wie machst du das?«
Es gab keinen Trick. Es gab nur sein aufrichtiges Interesse an den Tieren, nichts weiter. Er ging auf sie zu, weil er sie mochte, weil er fasziniert war von ihnen. Er hatte keine Vorbehalte, ließ sich nicht von Vorurteilen beeindrucken, fällte sein eigenes Urteil. So einfach war das. Bei Menschen allerdings war es anders.
»Wolf!« Der Hund, der ein wenig herumgestreunt war, schnellte unvermittelt herum, mächtige Muskeln bewegten sich atemberaubend leicht und geschmeidig unter dem hellen Pelz, und Eric beschlich ein Gefühl des Entsetzens, denn dieser Hund war eine vollendete Kampfmaschine. Mühelos würde er ihn niederreißen können. Unmittelbar vor Eric kam er zum Stehen und schnellte auf die Hinterbeine, seine Vorderpfoten hoben sich, als wollten sie ihn niederstürzen, er stieß ein kurzes,
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher