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Im Schatten des Galgens Kommiss

Im Schatten des Galgens Kommiss

Titel: Im Schatten des Galgens Kommiss
Autoren: Hans E. Koedelpeter
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versuchte er nur, den Aufgeregten zu beschwichtigen, indem er mit fester Stimme meinte: „Kapitän, genügt Ihnen mein Wort, wenn ich Ihnen sage, daß ich nur im äußersten Falle zu Mitteln greife, die mich unter Umständen mit den Gesetzen in Konflikt bringen können?"
    Lange blieb es nach diesem Versprechen des Steuermanns still zwischen ihnen. Beide schienen sich über diese Worte ihre eigenen Gedanken zu machen.
    Dann brach der Schiffseigentümer brummend das lastende Schweigen: „All skies, wenn Sie nur weiterhin so einsichtig und abwägend bleiben könnten wie bisher. Well, dann wäre ich zufrieden. Aber ich kenne die Hitzköpfigkeit eures Alters. War ja früher ebenso. Habe auch alles über den Haufen geworfen, wenn es nicht so ging, wie ich es mir ausgemalt hatte. Darum..."
    Mitten in dem begonnenen Satz brach Nafty Castello unvermittelt ab. Ihm war plötzlich ein neuer Gedanke gekommen, doch den gab er seinem Steuermann nicht preis. Er behielt es für sich, daß er sich entschlossen hatte, ein wenig auf seinen Steuermann achtzugeben, während dieser sich an Land befand — um irgendwelchen Plänen nachzujagen. Wie und in welcher Form er dieses wollte, war ihm inzwischen auch schon klargeworden.
    Warum schleppte er schon seit Jahren diesen schlitzäugigen Leisetreter, diesen Tschu Ly-Chuang, von Hafen zu Hafen mit? — Gewiß, er machte sich als zweiter Koch hin und wieder nützlich. Aber ausgelastet war der Chink durch diese Tätigkeit noch nie gewesen. Warum Nafty Castello diesen stets grienenden Tschu Ly-Chuang noch nicht zum Teufel gejagt hatte, konnte er beim besten Willen selbst nicht sagen. Jetzt aber bereute er es nicht, diesen Mann an Bord der Susanne zu haben. Keiner seiner Crew verstand es besser als dieser Chink, sich unauffällig an die Fersen eines Menschen zu heften.  
    Er sollte diesen starrsinnigen Steuermann auf jedem seiner Schritte, die dieser hier in London tat, verfolgen. Und auch im Falle eines Falles zur Stelle sein, wenn Jean Embroke, sein bester Mann, im Begriff stand, eine nicht wiedergutzumachende Dummheit zu begehen. Nun konnte Tschu Ly-Chuang zum ersten Male beweisen, daß er seine Heuer nicht umsonst bekam.
    Nach dieser so plötzlichen Eingebung wurde es Nafty Castello etwas wohler zumute. Mehr und mehr verrannte er sich in den Gedanken, den Chink zur ständigen Beschattung seines Steuermanns, nachdem sie in London vor Anker gegangen waren, auf die Reise zu schicken.
    So beendete er den Satz, den er mit dem Wort „Darum..." begonnen hatte, mit der nochmaligen Warnung: „Darum hüten Sie sich, die gleichen Fehler zu begehen und halten Sie sich stets Ihre Weste sauber."
    „Hm — ich werde es versuchen", erwiderte der Mann am Steuer sarkastisch, ohne dabei seinen Blick von der seit wenigen Sekunden aus dem Dunst aufgetauchten Steilküste des Inselreiches zu wenden.
    Jedoch wurde beim Anblick des ihm bekannten und vertrauten Landes sein bisher schon ernstes Gesicht noch strenger. Es wirkte in dieser Minute beinahe eckig — und schien wie aus Stein gemeißelt zu sein. Welche Gedanken aber hinter seiner hohen Stirn wilde, sich überschlagende Sprünge ausführten, das ahnte und erfuhr keiner. Sein stummer, finsterer Blick ließ nur erahnen, welcher Grimm in ihm tobte.
    Und so war es auch . . .
    Jean Embrokes Gedanken waren in diesem Moment alles andere als freundlich zu bezeichnen. Während er mit verkrampften Fäusten das Steuerrad umspannt hielt, zog noch einmal kurz die Vergangenheit an ihm vorüber. Eine Vergangenheit, die ihn nun, da er nach fast zehn Jahren zum ersten Male wieder die Küste seines Heimatlandes erblickte, wie eine Ironie des Schicksals mit aller Macht ansprang — und durch die er sich gleichzeitig als Ausgestoßener dünkte.
    Noch einmal tauchten verschwommen die Bilder jener Tage auf, in denen er als knapp fünfundzwanzigjähriger Mann dieses Land verlassen hatte. Nun war er um zehn Jahre älter geworden — und die Spuren dieser Zeit, einer langen harten Zeit, hatten sich tief in sein Gesicht eingegraben . . .
    Jean Embroke wirkte mit dem dichten schwarzen Bart, den er sich hatte wachsen lassen, nicht wie ein Mann, der kaum die Hälfte der dreißiger Jahre überschritten hatte, sondern bedeutend älter. Hinzu kam sein unter tropischer Sonne tiefbraun gebräuntes Gesicht, das ganz und gar nicht mehr zu dem Menschen paßte, der einst in Londons Straßen zu Hause war. So wie sich sein Äußeres stark verändert hatte, genauso hatten sich auch seine
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