Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Im Schatten des Feuerbaums: Roman

Im Schatten des Feuerbaums: Roman

Titel: Im Schatten des Feuerbaums: Roman
Autoren: Carla Federico
Vom Netzwerk:
verstohlen die Tränen ab. Doch auch wenn sie die Spuren beseitigt hatte, konnte sie ihm nichts vormachen.
    »Warum weinst du?«, fragte er erneut und klang besorgt.
    Sie lächelte. »Ich weine doch nur, weil ich glücklich bin … weil wir uns wiederhaben … weil ich hier stehen und malen kann … weil Tino sich wohl fühlt … und weil wir alles haben, was wir brauchen …«
    Er erwiderte das Lächeln, aber es geriet ein wenig schief.
    »Nur kein Geld«, warf er trocken ein.
    Ihr Lächeln schwand. »Bereust du es?«, fragte sie. »Ich meine, dass du mit deinem Vater …«
    Sie brachte den Satz nicht zu Ende, denn er schüttelte heftig den Kopf.
    »Ganz und gar nicht!«, rief er überzeugt. »Du bist in einer Sache gut – ich in vielen Sachen mäßig, und das hat immerhin genügt, mich durchzubringen.«
    »Nun mach dich nicht schlecht!«
    »Das tue ich doch nicht. Ich kann passabel rechnen, zeichnen, Häuser bauen, und dank meines Jurastudiums kenne ich die Gesetze Chiles. Ich denke, das reicht, um hier auf ehrliche Weise meinen Beitrag zu leisten. Ich werde in den nächsten Tagen nach Punta Arenas aufbrechen und meine Dienste als Architekt anbieten. Auch wenn so viele die Stadt verlassen, die, die bleiben, brauchen immer noch Häuser und Gasthöfe und Ställe und Werkstätten und Werften. Und selbst wenn ich nicht so schnell Arbeit finde oder diese nicht so gut bezahlt ist – wir haben uns, wie du schon sagtest, und damit alles, was wir brauchen.«
    Sie drehte sich zu ihm um, umschlang seinen Nacken und zog sein Gesicht zu ihrem. Sie küssten sich leidenschaftlich, und sie merkte nicht, wie ein erneuter Windstoß sie erfasste, ihr Haar erst hochwirbelte und dann auf ihren Rücken peitschte. Als sie sich voneinander lösten, tauchte das Abendlicht ihre Gestalt in einen sanften bronzefarbenen Ton.
    »Du weinst ja noch mehr!«, rief Tiago, und diesmal konnte sie die Tränen, die über ihre Wangen perlten, nicht rechtzeitig abwischen.
    »Weil ich noch glücklicher bin!«
    Sie küssten sich wieder, langsamer nun, zärtlicher. Obwohl sie nun schon seit vielen Wochen wieder vereint waren, hatte Aurelia sich nicht an den prickelnden Genuss gewöhnt, ihn wieder berühren zu können. Wie der Hungernde, der sich zu lange mit karger Kost begnügt hatte, konnte sie nicht genug bekommen, ihn zu fühlen, zu riechen, zu schmecken. Schließlich löste sich Tiago von ihr und deutete in Richtung der Schafställe.
    »Offenbar bist du nicht die Einzige, die glücklich ist.«
    Aurelia musste lachen, als sie seinem Blick folgte. Im Schatten des Schafstalls standen Dora und Arturo, und auch sie küssten sich, wenngleich verstohlener, vorsichtiger, ein wenig ungelenk und noch schüchtern.
    »Es scheint sich etwas Ernstes bei den beiden zu entwickeln.«
    Aurelia nickte. »Das glaube ich auch. Dora ist fest entschlossen, hier in Patagonien zu bleiben, und vielleicht hat Victoria recht. Vielleicht ist es gut, wenn die beiden Zwillingsschwestern mal eine Zeitlang getrennt voneinander leben und …«
    Sie verstummte, als Pferdegetrampel ertönte. Inmitten einer Staubwolke, die im Abendlicht golden glänzte, kam Maril auf sie zugeritten, dicht gefolgt von Tino. Der Tehuelche schien wie immer mit dem Pferd zu verschmelzen, Tino ritt weniger elegant, aber mit deutlichem Willen, an Tempo nicht nachzustehen.
    »Er macht sich richtig gut!«, rief Tiago stolz. So leicht es war, zu alter Vertrautheit mit seiner Frau zurückzufinden – so deutlich fehlten ihm die vielen Jahre mit dem Sohn, den er als Kleinkind verlassen und erst als Heranwachsenden wiedergefunden hatte. Doch die Scheu, die Tino anfänglich empfunden hatte, war zu Aurelias Freude bald der Genugtuung gewichen, nun endlich jemanden zu haben, der ihn lobte. Arturo, Emilio und Cornelio sahen nach wie vor ein wenig auf ihn herab – sein Vater aber fand alles großartig, was er tat, und Tino sonnte sich in seiner Anerkennung.
    Nun aber war sein Blick nicht auf Tiago, sondern auf Aurelia gerichtet.
    »Mama!«, rief er. »Mama! Schau, was ich mitbringe!«
    Er hatte Maril und Balthasar nach Punta Arenas begleitet, wo sie ihre monatlichen Einkäufe machten, und schwenkte nun einen Bogen Papier in der Hand – offenbar ein Telegramm, das sie dort erhalten hatten und das an sie adressiert war.
    Wendig sprang er vom Pferderücken. Anstatt das Schriftstück zu lesen, reichte es Aurelia an ihren Mann weiter, um den Sohn an sich zu ziehen und über seine Haare zu streicheln. Rasch
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher