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Im Schatten des Feuerbaums: Roman

Im Schatten des Feuerbaums: Roman

Titel: Im Schatten des Feuerbaums: Roman
Autoren: Carla Federico
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Junge?« Und ihr voriger Wortwechsel mit Pepe wiederholte sich auf gleiche Weise.
    Tino kicherte, Aurelia hingegen war schmerzlich berührt – umso mehr, als sie in den nächsten Tagen feststellen musste, dass von Valentinas einst so wachem Verstand kaum etwas übrig geblieben war. Sie war wortkarger als früher, als ahnte sie, dass sie viel Unsinn redete, reagierte schroff, wenn man Fragen stellte, deren Antwort sie nicht wusste, und zog sich oft zurück, um – wie sie stolz erklärte – ihre feministischen Schriften zu verfassen. Von diesen allerdings, so vertraute Pepe Aurelia an, sei kaum ein Satz zu lesen.
    Vorerst gab es keine Gelegenheit, Pepe eingehender nach Valentinas Zustand zu befragen, doch nachdem Tiago zu seinem Vater aufgebrochen war, leistete sie ihm in der Buchhandlung Gesellschaft. Tino war unterdessen damit beschäftigt, das Hausmädchen Bona zur Verzweiflung zu bringen. Um in Ruhe ein Huhn zu rupfen, das für das Abendessen gebraten werden sollte, bestach sie ihn schließlich mit Schokolade – und tatsächlich war für kurze Zeit nichts von ihm zu hören.
    »Deine Mutter …«, setzte sie an. »Es ist gewiss nicht leicht für dich, sie so zu sehen.«
    Zu ihrer Überraschung lächelte Pepe freudig. »Ach was!«, rief er aus. »Nun braucht sie mich endlich wirklich.«
    »Aber diese Vergesslichkeit … Es muss dich doch manchmal wahnsinnig machen, stets die gleichen Fragen zu beantworten.«
    Pepe, der meist ein wenig gebückt stand und saß, richtete sich zu voller Größe auf. »Ach, weißt du. All die Jahre hat sie mir immer vorgemacht, dass sie meinen Vater von Herzen geliebt hat und ihn unendlich vermisst. Irgendwann habe ich herausgefunden, dass das nicht wahr ist – dass ihr Francisco längst gleichgültig geworden war und sie mit seinem Verlust nur allzu gut hat leben können. Nur meinetwegen hat sie die Erinnerung an ihn stets am Leben gehalten. Zum einen, damit ich einen Vater hätte. Zum anderen, weil sie mir so einreden konnte, ich müsste für sie da sein.«
    »Und jetzt?«
    »Jetzt, da sie so vieles nicht mehr weiß, hat sie auch vergessen, dass sie Francisco eigentlich nicht liebte und mir diese Liebe stets nur vorgespielt hat. Nachdem du Santiago damals verlassen hast, habe ich sein Gemälde durch das Bild ersetzt, das du von mir gemalt hast. Vor wenigen Jahren pochte sie aber darauf, dass wir es wieder aufhängen sollten. Stundenlang steht sie nun vor Francisco und spricht mit ihm und erinnert sich an Dinge in ihrer Jugend, die sie mir nie erzählt hat. Ich weiß nicht, ob sie sich tatsächlich so zugetragen haben oder lediglich Auswüchse ihrer Phantasie sind.«
    Pepe grinste zufrieden.
    »Wie seltsam!«, stieß Aurelia aus.
    »Gewiss«, meinte er, und das Grinsen wurde breiter. »In jedem Fall lügt sie sich jetzt selbst an, nicht länger mich.«
    Kurz blitzte nicht nur Zufriedenheit in seinem Gesicht auf, sondern Rachsucht. Dass die letzten Lebensjahre der Mutter wegen des nachlassenden Verstandes und der falschen Erinnerungen irgendwie vergeudet schienen, entschädigte ihn offenbar für das Gefühl, so oft zu kurz gekommen zu sein.
    Aurelia seufzte. Sie hatte das seltsame Verhältnis zwischen Mutter und Sohn nie bis ins Letzte verstanden, aber wenn sie etwas wusste, dann, dass das Leben selten geradlinig verläuft, sich vielmehr oft in Zwängen verliert und der Mensch die seltsamsten Methoden findet, damit zu leben, ohne zu sehr daran zu leiden.
    »Ach, Pepe …«, seufzte sie. Unwillkürlich hob sie die Hand und streichelte über seine Wange. Er wurde glühend rot.
    »Tiago ist ein Glückspilz, dass er dich hat«, stammelte er.
    Aurelia nickte. Dieses Glück, das er, das sie beide hatten, trug so viele Gesichter: das des Zufalls, der sie erst zwei Ozeane getrennt und dann in einer fremden Stadt zusammengeführt hatte, aber auch ein wenig das des Scheins wie in den ersten Jahren der Ehe, da sie so teuer für das gemeinsame Leben hatten bezahlen müssen. Von nun an würden sie es nicht leichtfertig aufs Spiel setzen – ein ehrliches Glück nun, eines, das ohne Selbstverleugnung auskam.
    »Ach, Pepe«, wiederholte sie. Dann trat sie nach draußen in den Hof, um das Hausmädchen von Tino zu erlösen und auf Tiago zu warten.

    Als Tiago zurückkehrte, war er lange sehr schweigsam. Obwohl Aurelia darauf brannte, mehr zu erfahren, stellte sie keine Fragen. Es genügte vorerst, was sie in seiner Miene las: Entschlossenheit. Es war gewiss nicht leicht gewesen, sein
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