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Im Schatten des Feuerbaums: Roman

Im Schatten des Feuerbaums: Roman

Titel: Im Schatten des Feuerbaums: Roman
Autoren: Carla Federico
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Elternhaus zu betreten, aber es hatte nichts an der Entscheidung verändert, die er auf der Reise hierher immer wieder bekräftigt hatte: Er würde sich seinem Vater nie wieder mit Haut und Haaren ausliefern.
    Schließlich fragte er: »Kannst du unsere Koffer packen? Ich würde gerne noch heute den nächsten Zug nehmen. Nach Patagonien.«
    Aurelia nickte erleichtert, woraufhin er sich wieder abwandte und in Gedanken versank. Sie wusste – er würde ihr noch ausführlich erzählen, was geschehen war, desgleichen, wie sie noch über so viele andere Dinge reden mussten, um all die verlorenen Jahre aufzuholen, aber jetzt war noch nicht die rechte Zeit dafür. Jetzt galt es, sich einzig der Freude hinzugeben, nach Hause zu kommen – zum ersten Mal mit ihm an ihrer Seite.
    Erleichtert rief sie nach Tino und beeilte sich, ihr weniges Hab und Gut zusammenzupacken. Pepe ließ es sich nicht nehmen, sie zum Bahnhof zu begleiten und in Erinnerungen zu schwelgen, wie er damals mit ihr abgereist war. Es war die längste Reise geblieben, die er je unternommen hatte.
    Er winkte ihnen zu, als der Zug den Bahnhof verließ, und noch lange standen sie drei am Fenster und blickten hinaus – Aurelia und Tino aufgeregt, Tiago immer noch in Gedanken versunken.
    Erst nach einer längeren Wegstrecke brach er sein Schweigen.
    »Meine Mutter ist tot.«
    Die Worte versetzten ihr einen Stich – nicht nur, weil sie wusste, wie sehr es ihn schmerzte. Nein, auch sie selbst überkam Trauer, ehrlicher und tiefer, als sie es erwartet hatte. Sie hatte Alicia nie wirklich nahegestanden, hatte stets Scheu vor ihr empfunden – aber sie würde nie vergessen, wie sie ihr bei Tinos Geburt beigestanden und wie sie später ihretwegen auf den geliebten Enkelsohn verzichtet hatte. Wie sie ihre letzten Jahre wohl verbracht hatte? Ob sie völlig verhärtet war? Oder die Erinnerungen an Tino dann und wann ihre Lebendigkeit hatten wecken können?
    »Und dein Vater?«
    »Ich glaube, er verliert langsam, aber sicher den Verstand.« Tiago zuckte die Schultern. »Ich kann ihm nicht helfen. Das, was er immer von mir erwartet hat, kann ich ihm nicht geben, und ich werde nie wieder meine Freiheit gegen sein Geld austauschen.«
    »Aber du bist sein einziger Erbe. Irgendwann wird sein Vermögen auf dich übergehen.«
    »Mag sein. Doch ich werde nie in seine Fußstapfen treten, nie Teil seiner Welt werden. Er hat sich hier in Chile ein Imperium aufgebaut – doch nun muss er allein darin leben. Lieber verkaufe ich irgendwann all seinen Besitz als jemals wieder meine Seele.«
    Erneut blickten sie nach draußen. Weiß hoben sich die Spitzen der Andenkette vom blauen Himmel ab. Sie passierten blühende Alfalfafelder, die von Weiden und Pappeln gesäumt waren.
    Eben noch hatte sich Aurelia so auf Patagonien gefreut – nun erwachte plötzlich Sorge, als sie sah, wie Tiago von einer vertrauten Landschaft Abschied nahm. So lange war er von seiner Heimat getrennt gewesen – um sie nun so schnell wieder zu verlassen.
    »Denkst du, dass wir wirklich nach Patagonien gehen sollen?«, fragte sie. »Es wird schwer für dich sein, dort eine angemessene Arbeit zu finden.«
    Er wandte sich vom Fenster ab und lächelte. »Zweifelst du, dass ich zum Schafzüchten tauge?«, fragte er. »Nun, ich kann es nicht beschwören. Aber ich habe mich in den letzten Jahren immer durchzubringen gewusst. Ich habe vieles gelernt, warum nicht auch das?«
    Ihre Zweifel schwanden, als er sie an sich zog – wenn auch nicht ganz.
    »Das Leben auf der Estancia ist ziemlich … einfach. Wir werden arm sein.«
    Er küsste sie, erst auf die Schläfe, dann auf die Wange, schließlich auf den Mund. »Aber wir werden zusammen sein. Und du wirst malen. Komme, was wolle.«
    Immer inniglicher, immer leidenschaftlicher wurde ihr Kuss. Als sie sich atemlos von ihm löste, war da kein Bedenken mehr, nur diese tiefe, alte Vertrautheit. Sie ergriff Tiagos Hand und zugleich Tinos.
    Gewiss, so vieles war nicht geklärt, so vieles noch offen, vage der Weg, den sie in den nächsten Jahren zurücklegen würden.
    Und doch: Einst, als sie diese Strecke gemeinsam mit Tino und Pepe zurückgelegt hatte, war sie so unendlich dankbar gewesen, ihren Sohn bei sich zu haben – jetzt war sie überglücklich, dass die Familie wieder vollständig und vereint war.

Epilog
    Patagonien 1920
    H eulend machte der Wind Jagd auf die Wolken. Dick und weiß hatten sie sich am Himmel zusammengeballt und am Ende des Horizonts leicht
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