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Im Schatten des Feuerbaums: Roman

Im Schatten des Feuerbaums: Roman

Titel: Im Schatten des Feuerbaums: Roman
Autoren: Carla Federico
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Geist wie bei Saqui, Entsetzen oder Freude, aber da war nichts davon. Sein Blick war trüb, als hätte er zu viel getrunken, doch da kein Geruch nach Alkohol in der Luft lag, musste es etwas anderes sein, was seinen Verstand verschleiert hatte – Alicias Hinscheiden oder einfach nur die Einsamkeit.
    »Gut, dass du da bist«, murmelte William gedankenverloren, »es gibt so viel zu tun, und ich brauche dich. Es sind nun schwere Zeiten angebrochen, ohne Zweifel, aber ich denke, man kann es zu unseren Gunsten nutzen, dass auf den Krieg die Rezession gefolgt ist und …«
    »Ach, Vater«, stammelte Tiago hilflos.
    William erhob sich wankend.
    »Der Krieg selbst war noch unser großes Glück. Wie viel Geld hab ich daran verdient – an den vielen, vielen Salpeterbomben, die auf den europäischen Kriegsschauplätzen niedergingen! Aber dann haben Wissenschaftler der Deutschen, die während des Kriegs vom Nitrathandel ausgeschlossen waren, synthetischen Salpeter in ihren Laboren entdeckt. Eine Katastrophe! Chiles Wirtschaft wird sich über Jahre nicht erholen. Aber das heißt nicht, dass ein findiger Geist nicht trotzdem eine Möglichkeit findet, Geld zu verdienen. Wusstest du, dass die Guggenheim-Brüder in Chile investiert haben? Und dass …«
    »Vater, sei still!«
    Er konnte sich nicht erinnern, jemals so streng mit ihm gesprochen zu haben, aber es war unerträglich, ihn so reden zu hören – vermeintlich klar, und dennoch im Wahn. »Siehst du es nicht, dass ich es bin? Tiago! Dein Sohn! Ihr habt mich für tot gehalten, aber ich lebe!«
    William nickte langsam, aber auch wenn in seinem Geist vielleicht Erkenntnis reifte, so wurde diese von keinerlei Gefühlen begleitet. Das Band zwischen ihm und der Wirklichkeit war nicht gerissen, jedoch brüchig geworden, und Tiago war sich plötzlich sicher: Wenn er sagen würde, er sei Guillermo und von den Toten auferstanden, würde William es auch glauben – und ebenso wenig empfinden.
    Wie merkwürdig, schoss es ihm durch den Kopf, dass beide Männer, die er heute besucht hatte, Andrés wie William, ihres Geistes nicht mehr mächtig waren. Er selbst war jahrelang durch diesen grauen Nebel gewandert, und nun sah er klar – jene hingegen, die – jeder auf seine Weise – sein Schicksal mitverschuldet hatten, waren nun verwirrt.
    Doch auch wenn William ihn nicht verstehen würde – er sagte ihm, was er zu sagen hatte. »Vater, ich werde nicht bleiben. Ich wollte dich wissen lassen, dass dein Sohn lebt – aber das heißt nicht, dass ich als dein Sohn weiterleben werde. Ich weiß, ich bin dein einziger Erbe, aber ich bin nicht für deine Welt gemacht. Ich war es nie. Wahrscheinlich warst du es nicht einmal selbst.«
    William glotzte ihn verständnislos an, und plötzlich begannen seine Mundwinkel zu zucken. Er deutete hilflos auf Alicias Altar.
    »Durch sie wurde ich zum Mitglied der chilenischen Oberschicht«, brach es aus ihm hervor. »Aber sie war immer so kalt. Ich konnte alles von ihr haben, was sich erzwingen ließ, aber nie hat sie mir freiwillig gegeben, worum ich nur bitten konnte. Dass sie meine Sprache lernt. Dass sie mich versteht. Dass sie sich für meine Herkunft interessiert.«
    Seine Lippen zitterten immer heftiger – und Tiago musste unwillkürlich an das denken, was Aurelia ihm von dem Tag erzählt hatte, als sie Tino aus dem Haus geholt hatte. Damals hatte sich Alicia gerühmt, ihren Mann nicht minder unglücklich gemacht zu haben als er sie.
    Er erschauderte, als er in diesem Raum plötzlich ihren Geist fühlte – nicht den Geist einer Frau, die den kleinen Tino liebte und selbstlos auf ihn verzichtete, sondern einer Frau, die ihrem jungen Mann, zwar nüchtern, aber abenteuerlustig, weltoffen und klug, nicht jene Wärme hatte geben können, damit am Ende ein anderer aus ihm wurde als ein gefühlloser Geschäftsmann, der nur für seine Pflichten lebte.
    Irgendwie hatten sie wohl beide geglaubt, dass sie den jeweils anderen am besten ertragen könnten, wenn sie sich selbst verrieten und sich niemals verwundbar zeigten. Auf diese Weise hatten sie nie gestritten, hatten sich nie aneinander gerieben, hatten aber immer Distanz gewahrt. Und in dieser Atmosphäre von Gleichgültigkeit und Erstarrung hatten sie ihre beiden Söhne vergiftet.
    Plötzlich ging ein Ruck durch Williams Gestalt. Mit einem Schwung fegte er die Heiligenfiguren von dem Altar, die polternd auf dem Boden zu liegen kamen. Nie hatte Tiago ihn so gesehen, so flink, so kraftvoll, so
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