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Im Schatten des Feuerbaums: Roman

Im Schatten des Feuerbaums: Roman

Titel: Im Schatten des Feuerbaums: Roman
Autoren: Carla Federico
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Dienstmädchen stand vor ihm, doch er konnte nicht mit Sicherheit sagen, ob es dasselbe war, das ihm aufgemacht hatte. Es war in jedem Fall ähnlich ängstlich, lief aber zumindest nicht gleich vor ihm davon.
    »Was geht hier vor?«
    Sie zuckte zusammen. »Nachdem der alte Doktor gestorben ist, ist alles bergab gegangen …«
    Tiago nickte langsam. Ramiro Espinoza war also tot. Angesichts der Verwahrlosung in diesem Haus war er nicht sonderlich verwundert – und im tiefsten Inneren auch erleichtert: So blieb es ihm zumindest erspart, dem Vater zu berichten, was sein Sohn getan hatte.
    »Und Andrés?«, fragte er.
    »Seit sein Vater tot ist, arbeitet der junge Doktor nicht mehr im Krankenhaus.«
    Kaum war die Stimme des Mädchens verklungen, ertönte ein langgezogenes Stöhnen. Erst war sich Tiago nicht sicher, aus welcher Richtung es stammte, dann stieß er die Tür zur kleinen Kammer neben dem Labor auf, in der Pinzetten, Reagenzgläser und Petrischalen aufbewahrt wurden – zumindest war das früher so gewesen. Nun nahm er vor allem die vielen leeren Flaschen wahr, die auf dem Boden rollten – und einen Mann, der zusammengekrümmt unten lag und kaum Ähnlichkeiten mit jenem Andrés hatte, den er kannte.
    Wegen der vielen leeren Flaschen dachte er im ersten Augenblick, dass er betrunken war, doch nachdem er das Dienstmädchen beauftragt hatte, die Vorhänge zurückzuziehen, begriff er, dass sein Zustand weitaus gravierender war: Sein Gesicht war aufgequollen und glühte rot vor Fieber.
    Tiago war kein Arzt, aber er wusste sofort, dass Andrés schwer krank war, vielleicht sogar im Sterben lag.
    »Gütiger Gott«, stieß er aus, »was ist passiert?«
    Das Dienstmädchen schluchzte eine Weile, ohne ein Wort herauszubringen. Schließlich hatte es sich so weit gefasst, um stockend zu berichten: »Ich weiß es nicht genau, ich weiß nur, dass mit Doktor Espinozas Tod alles immer schlimmer wurde. Der junge Doktor hat seine Arbeit im Krankenhaus verloren, weil er zu oft betrunken war. Es würde ihm nichts ausmachen, hat er gesagt – und noch mehr getrunken. Und er hat viel Zeit im Labor verbracht.« Wieder schluchzte das Mädchen auf. »Er hat gesagt, dass er nie Arzt hatte werden wollen, sondern Pathologe, und das wäre er nun. Er hat regelmäßig … Leichen hierhergebracht, um sie zu sezieren. Ich bin mir nicht sicher, woher er sie hatte, ich glaube, er hat sie in den Armenvierteln gekauft.« Das Mädchen erschauderte, und Ekel trat in sein Gesicht – gleicher Ekel, der nun auch Tiago überkam.
    Er sah sich hektisch um, aber zumindest war hier nichts von einer Leiche zu sehen oder zu riechen. Andrés stöhnte erneut auf, und trotz der Verachtung, die Tiago eben noch dem einstigen Freund entgegengebracht hatte, griff er nach seiner Hand, um den Puls zu ertasten. Sein Herzschlag war flach und holprig, und die Hand fühlte sich nicht nur heiß, sondern geschwollen an. Er zog Andrés ein wenig mehr zu sich, um ihn besser betrachten zu können, und entdeckte dicke, rote Linien, die von seiner Hand – diese blutverkrustet – zu seinem Herzen führte.
    »Warum ist er so krank?«
    »Das letzte Mal, als er eine Leiche seziert hat, war er so betrunken, dass er sich geschnitten hat. Es hat schrecklich geblutet, aber er wollte sich nicht helfen lassen. Er hat mich angeschrien, als ich ihm vorschlug, einen Arzt zu holen. Das Einzige, was er mir erlaubte, war, die Leiche wegbringen zu lassen.«
    Das Mädchen tupfte sich mit einem Taschentuch die Tränen ab, während Tiago sich tiefer über Andrés beugte. Er zerrte an seinem schweißverkrusteten, schmutzigen Hemd, sah, dass die Linien bereits die Brust erreicht hatten, hier nicht länger glühend rot, sondern schwarz wirkten. Er verstand nicht viel von Medizin, aber er wusste sofort: Andrés hatte eine Blutvergiftung, und wahrscheinlich kam jede Hilfe zu spät. Er hätte es dennoch nicht ertragen, gar nicht erst zu versuchen, ihn zu retten.
    »Schnell«, rief er dem Mädchen zu. »Holen Sie wenigstens jetzt einen Arzt! Sagen Sie ihm, dass Señor Brown y Alvarados Sie schickt.«
    Eigentlich hatte er diesen Namen nie wieder verwenden wollen, aber er wusste, dass er nun gute Dienste leisten und kein Arzt es wagen würde, das Mädchen fortzuschicken. Seine Schritte verhallten, danach herrschte – bis auf Andrés’ rasselnden Atem – Stille.
    Tiago rückte wieder von ihm ab. So selbstverständlich es ihm trotz Hader und Hass gewesen war, Hilfe zu holen – so
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