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Der Sommer auf Usedom

Der Sommer auf Usedom

Titel: Der Sommer auf Usedom
Autoren: Lena Johannson
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Lüttenort

    Als Jasmin an der schlanken Taille der Insel ankam, um die sie Usedom zutiefst beneidete, musste sie kräftig Luft holen vor Glück. Mann, war das schön! Sie hatte ihr Auto in Koserow abgestellt und war die Hauptstraße bis Damerow entlangspaziert. Das Forsthaus, ein prächtiger Gebäudekomplex, der fast vollständig mit Reet gedeckt war, hatte ihr so gut gefallen, dass sie am liebsten gleich eine Skizze davon angefertigt hätte. Doch dann hatte sie sich mit einem Foto begnügt, das ihr später einmal als Vorlage dienen konnte. Sie war schließlich nicht nach Usedom gekommen, um Architektur zu malen. Jasmin wollte an einem Bilderzyklus über die Sagen und Legenden, über die Sitten und Gebräuche der Insel arbeiten. Vor allem aber wollte sie Zeit mit ihrer besten Freundin Gabi verbringen, die vor drei Jahren hergezogen war. Sie hatten einander in die Hand versprochen, sich mindestens einmal jährlich zu sehen. Zwar konnte Gabi sich nicht die gesamten zwei Wochen freinehmen, aber sie würden schon genug Nachmittage und Abende haben. Jede gemeinsame Sekunde war kostbar, und sie hatten es schon immer verstanden, diese zu genießen.
    Ihr Weg führte Jasmin am Achterwasser entlang. Die Sonne ließ den Ausläufer des Gewässers, der sich vom Peenestrom bis hier hinaufzog, glitzern und tauchte den Tag in eine perfekte Temperatur. Dreiundzwanzig Grad, dazu eine seichte Brise, die das Schilf leise knistern ließ. Mit einem breiten Grinsen im Gesicht,Ausdruck vollständiger Zufriedenheit, spazierte Jasmin dem Atelier des Malers Niemeyer-Holstein entgegen. Wo immer eine Reise sie hinführte, besuchte sie liebend gerne die Arbeitsstätten anderer Künstler. Vor allem, wenn diese so belassen worden waren, wie sie zu Lebzeiten des Künstlers ausgesehen hatten. Es gab wenig, was sie mehr inspirieren konnte. Zu sehen, wie die Glücklichen, die von ihrer Malerei hatten leben können, ihr Atelier gestaltet hatten, ihre Anwesenheit und unbändige Kreativität zu spüren, die durch ihren Tod keineswegs geringer zu werden schien, war für sie immer wieder ein beeindruckendes Erlebnis. Von Lüttenort und der Wirkungsstätte des berühmten Mannes, der von Kennern schlicht ONH genannt wurde, hatte sie schon viel gehört. Sie würde versuchen, möglichst viel darüber zu erfahren und dann ihre Eindrücke, ihre ganz eigene Geschichte über den preisgekrönten Küstenmaler auf Leinwand zu bannen.
    Eine Möwe kreischte im Anflug auf den breiten Gürtel Rohrdickicht am Ufer und blieb, wie an unsichtbaren Fäden aufgehängt, über dem Achterwasser stehen. Dann drehte sie ab. Anscheinend war hier keine Beute zu machen.
    Jasmin folgte dem gewundenen Steinweg, passierte ein blauweißes Boot und konnte endlich einen ersten Blick auf Atelier, Museum und Garten des Malers werfen. Sie seufzte wohlig. Schon jetzt spürte sie die Aura eines wahrhaft großen Künstlers. Jedenfalls war sie der festen Überzeugung, dass es das war, was sie spürte. Von weitem erkannte sie Skulpturen und einen Bogen, der womöglich aus alten Schiffsplanken oder gar Walknochen bestand. Im Hintergrund ein weißes, windschief aussehendes Haus. Am liebsten wäre sie sofort hineingestürmt, doch es blieb ihr nichts anderes übrig, als zunächst den gläsernen, für ihren Geschmack viel zu modernen Anbau rechter Hand zu betreten, um das Eintrittsgeld zu bezahlen. Unweit des Empfangstresens, an dem man eine Karte lösen konnte, stand eine Gruppe von Menschen, die auf etwas zu warten schien.
    »Guten Tag, möchten Sie auch noch an der Führung teilnehmen?«
    Jasmin zögerte einen Moment.
    »Sie haben Glück. Es geht in zwei Minuten los, und es sind noch zwei Plätze frei.« Die Dame hinter dem Tresen, eine matronenhafte Person mit auberginefarbenem Haar und fröhlichen Augen, sah sie erwartungsvoll an.
    »Gut, ja«, antwortete Jasmin zögerlich. Eigentlich entdeckte sie Orte wie diesen lieber auf eigene Faust.
    »Sehr gerne!« Die Matrone mit dem violett schimmernden Haar ließ ihr keine Chance, es sich anders zu überlegen, nannte ihr den Preis und schob ihr bereits eine Karte auf dem Tisch herüber.
    Also schön, schloss sie sich eben erst einer Gruppe an und sah sich anschließend noch alleine um. Jasmin war wild entschlossen, sich ihre gute Laune nicht verderben zu lassen. Sie nahm ihr Ticket entgegen. In dem Moment flog die Tür zu dem Wintergarten, dem Eingangsbereich der Ausstellungshalle, auf, und ein Mann stolperte im wahrsten Sinne des Wortes herein. Er war an
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