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Im Schatten der Tosca

Im Schatten der Tosca

Titel: Im Schatten der Tosca
Autoren: Susanne Kaiser
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Einmal wagte Mariana zu fragen, ob diese beiden Stimmen nicht miteinander verbunden werden könnten, worauf Frau Gregorija schroff erklärte:
    »Das ist der Registerbruch. Den haben alle Sänger. Stell bitte keine solchen blödsinnigen Fragen mehr, sei lieber froh, dass du jetzt zwei Register hast und nicht nur alles aus dem Hals herausquetschst.«
    Über die mühsam wieder herbeigelockte Kopfstimme war Mariana tatsächlich überglücklich. Dennoch versuchte sie, wenn sie alleine war, die beiden Lagen übergangslos miteinander zu verbinden. Als Anfängerin hatte sie damit keine Mühe gehabt, jetzt gelang es ihr überhaupt nicht mehr. Wie immer sie es anzupacken versuchte, im besten Fall konnte sie sich von einer Lage in die andere hinübermogeln, aber der Übergang war immer zu hören, oft knarrend oder zittrig verwackelt und unangenehm. Oder sie schaltete einfach um, dann war es, als tönten zwei verschiedene Stimmen aus ihr. Und immer häufiger war sie auch wieder heiser. Vielleicht kam es von der übertriebenen Höhe, vielleicht vom ständigen Anschreien gegen die Begleitmusik.
    Aber diesmal ließ sich Mariana nicht ins Bockshorn jagen. Plötzlich erinnerte sie sich daran, dass sie durch ihre vielen Opernbesuche im Herzen schon lange wusste, wie richtiges Singen klang. Ein müheloses Ineinandergleiten der Töne fand da überall statt, die Stimme war eine Einheit, getragen vom Atem.
    Anders als bei Madame Krasnicova gab sie sich nicht länger unbesehen die Schuld an ihrem Unvermögen. Mariana hatte tatsächlich dazugelernt. Sie wurde misstrauisch: War Madame Gregorija gerade dabei, ihr einen Fehler anzudressieren, einen ganz schlimmen, womöglich gar nicht mehr gutzumachenden Fehler?
    Der nächste Opernbesuch mit den Eltern bestätigte sie in ihrem Verdacht. Sie liebte den ›Troubadour‹, sie kannte ihn in- und auswendig, wenn die Azucena zu singen anfing, hielt es sie kaum mehr aus auf ihrem Sitz. Jetzt verfolgte sie mit neuer Spannung alle Sänger. Sie hatte es geahnt: Keiner von ihnen praktizierte dieses Unding »Registerbruch«. Da quoll es nicht einmal tief aus der Brust und das andere Mal hell aus der Maske. Wenn ein Bruch vorkam, dann als Stilmittel, weil jemand verzweifelt war, ratlos, außer sich.
    »Ha, Registerbruch – den haben alle Sänger!«, fauchte sie im aufbrausenden Schlussapplaus die Eltern an. »Aus, vorbei, nicht eine Stunde mache ich da mehr mit.« In ihrer Aufregung war sie nicht mehr aufzuhalten. »Diese aufgeblasene Person! Wenn ihr’s nicht tut, ich sag ihr mit Vergnügen, was ich von ihr halte. Und von wegen Sopran: Die Azucena, das ist meine Rolle. Das habe ich schon immer gewusst.« Und so stand Mariana wieder ohne Lehrer da.
    Zwei gefährliche Lehrerinnen hatte ihre offenbar kerngesunde Stimme verkraftet. Weitere Schauermethoden konnte sich Mariana nicht mehr leisten, das Singen war inzwischen für sie mehr als ein spannender Zeitvertreib geworden. Sie hatte nur noch ein Ziel: Sie wollte Sängerin werden. Der nächste Schritt musste der Richtige sein. Auch wenn sie sich vor Verlegenheit dabei wand, sie musste ihn tun.
    Als Mariana bei Professor Wettergren erschien, ganz zusammengeschnurrt vor schlechtem Gewissen, einen riesigen Blumenstrauß in der Hand, unterdrückte er alle hämischen Kommentare. Schon auf ihren verworrenen Brief hatte er nur kurz geantwortet: »Na, dann komm halt mal.« Auch jetztwollte er keine umständlichen Erklärungen, er ließ sie eine Weile reden, bot ihr Tee an, und als sie nicht mehr ganz so unselig auf ihrem Stuhl herumrutschte, fragte er sie:
    »Magst du mir vorsingen? Ich begleite dich gerne. Anschließend wissen wir beide mehr.«
    Zu Anfang würgte Mariana ein Kloß in der Kehle, aber Professor Wettergren tat so, als merkte er nichts. Nach über einer Stunde hörte er schließlich zu spielen auf, er schaute Mariana aufmerksam an, dann sagte er bewegt:
    »Eine wunderschöne Stimme hast du. Natürlich wirst du Sängerin. Was denn sonst? Du gehörst jetzt auf die Musikhochschule, die Aufnahmeprüfung bestehst du mit Sicherheit. Dann ist Schluss mit dem Durcheinander.«

    Mariana stürzte sich mit leidenschaftlichem Eifer in ihr Studium, endlich wusste sie, wohin mit ihrem Schwung, ihrer Kraft. Die wichtigsten neuen Lehrer hatte Professor Wettergren für sie ausgesucht.
    »Zur Abwechslung mal biedere Schweden, aber glaub bloß nicht, dass die nicht auch kindisch eifersüchtig und missgünstig sind, wechseln könntest du kaum mehr.« Zum Glück kamen
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